Schönen Guten Abend,
zunächst einmal, liebe CamusHH, stimme ich ihnen zu: Literatur ist auch Provokation. Oh ja. Und nicht nur ein Literatenzirkel wie der Unsrige benötigt Provokation, um nicht nur im eigenen Saft dahinzuschmoren.
Aber nirgendwo steht geschrieben dass Provokation so platt und billig ausfallen muss wie in ihrem Fall. Auch der Provokateur sollte ein wenig kreativ und intelligent provozieren können. Natürlich erreicht ein Provokateur sein Ziel immer auch so, gerade in einem solchen Forum, alleine schon weil er eine Außenseiterposition in drastischen Worten vertritt. Aber – und das sage ich voraus – daraus wird nichts Produktives, nichts was dieses Forum weiterbringen wird. Es wird eine endlos lange Debatte geben, einen Rekord-Thread in dem sie sich von ihrer Wut entlasten können und die versammelte Literaten-Gemeinde versuchen wird wiederum ihnen Saures zu geben. Die nachdenklichen Töne werden natürlich weitgehend untergehen. Die Diskussion wird hin und her switchen zwischen verschiedenen Themen, immer in exorbitanter Aufgeregtheit – so lange bis wir ihrem Wunsch nachgekommen sind, sie aus der Mitgliederliste gestrichen haben und sie sich auch als Anonymus nicht mehr äußern
möchten.
Doch halten wir einen Augenblick inne und kehren zum Kern zurück – zu ihren Vorwürfen nämlich. Auf ihr Konstrukt, auf das was sie uns geboten haben, möchte ich sie festnageln. Auf meine Replik dieses Konstruktes möchte ich Antworten haben. Ich fasse es noch mal zusammen: Sie werfen uns vor wir würden nicht kontrovers und engagiert diskutieren. Ferner gibt es zu viele eigene Texte, die meisten auch noch in mieser Qualität. Wir sind eitel und selbstgefällig, halten uns für große Dichter und/oder Schriftsteller, was wir beileibe nicht sind. Es findet keine Diskussion über Literatur an sich oder deren Trends statt. Wir sind kurz: Dilettanten. Deas Gedicht ist von gelbsucht gerade deshalb in unverzeihlicher Weise falsch behandelt worden, da sich seine Kritik bei einem so wichtigen Thema auch mit den formalen Schwächen des Gedichtes beschäftigte.
Das ist es, was sie im Kern gesagt haben – zuzüglich dessen dass wir keine Argumente hätten sowie einiger Bemerkungen unter der Gürtellinie („Blödmann“ etc.) aber jeder benimmt sich eben so zivilisiert wie er kann.
Ich halte es ehrlich gesagt für ein Leichtes, diese Vorwürfe Stück für Stück auseinander zu nehmen und weitgehend zu entkräften. Vorher jedoch möchte ich ihnen kurz noch erklären was ein Argument ist, auch wenn sie das natürlich schon wissen.
Ein Argument ist eine Ansammlung von mindestens zwei Aussagesätzen, wobei mindestens ein Satz die Prämisse bildet, die Basis sozusagen und genau ein Satz die Konklusion, die Folgerung aus der Prämisse/den Prämissen. Einfache Behauptungen sind keine Argumente. Deshalb sind, wenn man argumentiert, Beispiele so verdammt beliebt. Man kann sie als Beleg anführen und kann auf ihrer Basis neue Folgerungen schließen.
Und damit bin ich bei ihren „Argumenten“ angekommen, also in medias res:
1) frei nach ihnen: „Ihr diskutiert nicht engagiert und kontrovers genug“. Hmmm, scheint irgendwie kein Argument zu sein legt man den logischen Argumentbegriff zugrunde, eher eine Behauptung, ohne Prämisse, ohne Beleg. Beispiele? Fehlanzeige. „Hab mich allgemein mal im Forum umgeguckt“ sollen wir wohl zwischen den Zeilen lesen. Na gut, tun wir das. Ich habe mich auch umgeschaut und finde irgendwie auf Anhieb einen Haufen Diskussionen sowohl im „Gedichte“ als auch im „Texte-Forum“ und nicht nur da. Welche Kriterien haben sie denn für eine engagierte und kontroverse Debatte? Wo genau haben die Diskutanten versagt, zum Beispiel bei „Geliebter Zarathustra“, „Mit dem Rücken zur Wand“, „In der Bahn“, „Kleiner Hilferuf“, „I bin net schuld“ – die Reihe könnte man lange fortsetzen? Und wenn sie versagt haben, warum haben sie sich nicht eingeschaltet und massiv dort darauf hingewiesen?
2) immer frei nah ihnen: „Es gibt zu viele eigene Texte“. Zwar auch kein Argument, aber sie verbinden das ja geschickt, indem sie erwähnen wie schlecht die Texte sind und dass man doch kein Dichter/Schriftsteller wäre nur wegen des eigenen Interesses an Literatur. Hmm, da sollen wir wohl folgendes draus lesen: „Viele hier haben Interesse an Literatur. Sie halten sich deshalb für große Dichter/Schriftsteller, obwohl sie gar keine sind. Folgerung: Sie posten unheimlich schlechte Texte.“
Also immerhin die erste Prämisse, die mit dem Interesse an Literatur stimmt. Ein guter Anfang. Der Rest ist dann leider wieder falsch. Niemand hier hat behauptet er sei ein großer Dichter/Schriftsteller. Diese Unterstellung haben sie uns mal schnell untergejubelt. Halt, stopp, es gab natürlich welche die durch ihr Verhalten deutlich gemacht haben, welch Meisterkönner sie sind

: Fräulein Alma Marie Schneider und Herr Heusch zum Beispiel, um mal diese 2 Exemplare zu nennen und – ganz früher - der Herr Bär – mei` haben wir da kontrovers und engagiert diskutiert. Schauen sie mal ins Archiv. Da kriegen sie aber eine volle Ladung Kritiker-Bashing um die Ohren gehauen, dass ihr Herz höher schlägt.
Ehrlich: Wer sich hier so aufplustert ist meist schnell wieder weg gewesen. Für soooooooo toll halten wir uns also gar nicht. Obwohl, wir sind ja schon was Besonderes… B-) Ihre Konklusion ist natürlich jetzt leider auch zum Teufel, außer sie berufen sich darauf aus dem Falschen Beliebiges folgern zu können (wäre glaube ich kein Ansatz mit dem sie durchs Leben kämen), denn wir posten ja gar nicht deshalb so schlechte Texte. Aber halt, es könnte ja immer noch sein dass hier viele schlechte Texte gepostet werden. Und in der Tat: Es ist so. Das Bisschen was ich hier gepostet habe mag da ruhig beispielhaft herhalten. Aber wissen sie, wir verstehen uns auch als Textwerkstatt, da darf ruhig auch mal Schlechtes gepostet werden.
So viel beständigen Beifall und Common Sense wie sie habe ich übrigens durchaus nicht ausmachen können und die von ihnen aufgestellte 95 %-Marke ist bereits hinreichend kommentiert worden, womit sich auch die Realation zu dem was wirklich gut ist oder zumindestens nicht schlecht deutlich verschiebt.
3) "Ihr diskutiert nicht über Literatur oder deren Trends" - hmmm, Trends? Sollen wir über die Buchmessen tingeln und intellektuelle Diskussionen über die gerade gebräuchlichsten Adjektive führen?
Sollen wir ein Forum einrichten, in denen wir nur über Bücher diskutieren, die in den letzten 6 Monaten erschienen sind um neue Trends auszumachen?
Ich weiß ehrlich gesagt nicht was sie genau wollen. Aber ich weiß, dass jede Diskussion über einen Text/ein Gedicht eine Diskussion über Literatur ist und das Literaturverständnis der einzelnen Diskutanten dabei zum Tragen kommt. Das genügt mir eigentlich um diesen Vorwurf abzuwehren.
4) „Ihr seid eitel und selbstgefällig“ Hey, hier haben sie sogar ein Beispiel gebracht, Deas Gedicht. Stellt man dies voran haben wir glatt ein Argument: Beim Gedicht von Dea hat sich gelbsucht eitel und selbstgefällig verhalten indem er auf formale Schwächen achtete. Folgerung: Ihr seid eitel und selbstgefällig.
Also, liebe Fachärztin, man nennt solche Argumentationsfiguren Induktionsschlüsse. Einzelbeispiel beweist allgemeines Gesetz. Solche Schlüsse sind leider nicht wahrheitserhaltend. Herrgott, wie sollten sie auch. Sonst würde jeder Erdenbürger repräsentativ für die Menschheit stehen, welch grausame Vorstellung. (obwohl sich die Dialektiker ein Loch in den Bauch freuen würden

)
Nein, weder ist das Verhalten eines Einzelnen repräsentativ für das gesamte Forum, da hätten sie schon mehr Beispiele bringen müssen um das zu erhärten, noch sehe ich warum der Anspruch die formalen Schwächen eines Gedichtes zu kritisieren eitel und selbstgefällig sein soll.
Im Gegenteil: Form und Inhalt sind auch in der Lyrik nicht strikt voneinander zu trennen und nur weil sie das Gedicht rein inhaltlich und aus ihrem beruflichen Background heraus sicher auch sehr (rein) emotional betrachten heißt das noch lange nicht dass gelbsucht das genau so handhaben muss.
Damit wir uns nicht missverstehen: Es ist ihr gutes Recht das Gedicht so zu empfinden und zu betrachten und es sich als einen Schatz im Herzen aufzuheben. Wenn Dea das geschafft hat (und das hat sie nicht nur bei Ihnen geschafft!) dann hat sie ein großes Werk vollbracht.
Aber niemand kann zu ihrer Betrachtungsweise in all IHREN Facetten gezwungen oder deshalb gar in seiner Kritik derart zensiert werden, dass aus diesem Zensus hanebüchen Charaktereigenschaften wie Eitelkeit abgeleitet werden.
Wir können gerne eine Auseinandersetzung darüber führen warum formale Schwächen den Inhalt eines Gedichtes stärken oder schwächen können und dies an Deas Gedicht exemplifizieren. Aber ich glaube darum geht es ihnen gar nicht. Wir müssen das Gedicht so empfinden wie sie es empfinden und wir müssen es vor allem rein inhaltlich betrachten. Warum eigentlich? Mensch, das wäre doch die Chance gewesen im entsprechenden Thread mal engagiert und kontrovers zu diskutieren. Warum haben sie sie nicht ergriffen? (auch "Kunst und Handwerk" hätte sich hier angeboten, Stichwort "Trenddiskussion")
Stattdessen werfen sie in der aktuellen Diskussion – und ganz ehrlich: das finde ich so was von ekelerregend – auch noch ihre Stellung als Fachärztin in die Waagschale. Wofür denn das? Sollen wir einen Kompetenzwettstreit darüber führen wer sich besser mit dem Thema „Krebs“ auskennt? Glauben Sie weil sie Fachärztin in der Kinderonkologie sind hätten andere Menschen, vielleicht gar welche in diesem Forum, vielleicht gar gelbsucht, noch kein Leid gesehen? Das müsste übrigens dann gar nicht unbedingt Krebs gewesen sein denn Deas Gedicht könnte für jeden Menschen den eine Krankheit einem Todeskampf aussetzt Trost und Motivation sein.
Und weil gelbsucht sich von dem Leid, dass er in seinem Leben gesehen und erfahren hat (vielleicht übrigens sogar am eigenen Leibe: woher wissen sie, Frau Fachärztin, eigentlich dass dem nicht so ist???) nicht völlig überrumpeln lässt nach dem Lesen dieses Gedichtes und sich eine gewisse Abstraktionsfähigkeit bewahrt, die gerade da wo Emotionen am Werk sind notwendig ist (was Sie eigentlich wissen sollten, denn würden sie sich die Anliegen ihrer kleinen Patienten jeden Tag so zu Herzen nehmen – und ich hoffe bei Gott sie behandeln diese Kinder gut, denn sie haben eine verdammt verantwortungsvolle Stellung – dass sie nur noch heulend vor Mitleid in der Stationskantine sitzen würden dann wäre keinem gedient) ist er jetzt eitel und selbstgefällig, hat keine Gefühle, ein Herz kalt wie Stein und hat sich von dem Gedicht nicht berühren lassen (wobei sie konsequent einen Teil seines Postings missachten). Ein ganz FETTES NEIN, Frau Fachärztin. Und selbst wenn ihn das Ganze nicht berührt hätte, wäre das immer noch seine Sache gewesen ohne dass er damit die Stigmata ernten müsste die sie ihm verpassen wollen. Er hätte nämlich auch ganz einfach schweigen können. Und weder das Schweigen noch das freie Kritisieren auf Basis der Nettiquette werden wir beschneiden – gerade deshalb nicht weil wir kontroverse und engagierte Diskussion fordern.
Wenn ich jedenfalls so was
Hierzu nur eine kurze Bemerkung. Ich denke, dass ich mich mit dem Thema "Krebs" sehr gut auskenne. Ich bin Fachärztin für Kinderonkologie. Besuchen Sie mich gern einmal und wir schauen uns zusammen diese Kinder an, die kaum noch eine Zukunft haben.
als ernstgemeinte Replik auf Hilbis wichtigen Einwurf lese und den ganzen moralischen Alleinvertretungsgefühlsanspruch der da mitschwingt wird mir speiübel.
Zum Schluss: Schade dass sie nicht in Hamburg wohnen. Aber wenn ihr Angebot auch für mich gilt (was ich nach diesem Posting natürlich nicht erwarte) dann nehme ich es an. Ich komme sie gerne in Berlin besuchen und begleite sie einen Tag oder ein paar Stunden bei ihrer Arbeit, gern mit anschließender Unterhaltung, dann sicher in einer ruhigeren und sachdienlicheren Atmosphäre. Das wäre es mir wert und es wäre es mir vor allem wert einen Menschen kennenzulernen der eine so verdammt wichtige Aufgabe hat.
Grüße,
Hamburger
"If it's a hit? - Yeah, that's me! If it's a miss? - Yeah, that's me!" (Robert Palmer)