Vater

In diesem Forum kann sich jeder mit seinem Text der Kritik des Publikums stellen. Selbstverständlich auf eigene Gefahr ...
dietherkabow
Kerberos
Beiträge: 5
Registriert: 18.01.2011, 19:22

Vater

Beitragvon dietherkabow » 18.01.2011, 19:29

Wenn mein Vater von mir sprechen soll wird er empfindlich ernst darüber. "Mein Sohn", sagt er, und man hat den Eindruck, er wollte eigentlich das andere, vermeintlich falsche Wort betonen, weil seine Inanspruchnahme nur noch durch seinen alternden Körper belegt ist, und vielleicht hat er den Trugschluss gemacht, dass möglicherweise beide Worte die falschen sind, und er versucht zumindest das Nähere zu fassen, "Mein Sohn hat einfach nicht verkraftet, dass er sich nicht selbst geschaffen hat". Dann schweigt er verhältnismäßig lange, weil er sehr genau weiß, das jedes Gegenüber das erst verarbeiten muss, dass da ein Jäger sitzt, ein Aus-der-Zeit-Gefallener, der kein Mammut jemals noch erlegen können wird und trotzdem alles aufs Spiel setzt, indem er dem Nachgeborenen neben sich selbst noch seinen Schöpfer vorhält. Wenn man ihn lässt, was oft passiert, weil er ein sehr guter Erzähler ist, schweift er schnell ab von seinem Sohn zu seinem Leben, dass er gerne in seiner Ableitung, seinem Bruch gesehen hätte, der Zähler aber muss sich verwirklichen, der Nenner wird langsam alt, schlimmer als 30, zu dem Alter wir uns bei der Abiturfeier geschworen haben, uns zu erhängen, ist ihm sein jetziges, 40plusx, jetzt muss er erkennen, dass alle Pläne, die man schmiedete und bis hierhin nicht hat Wirklichkeit werden lassen, schneller blass werden als noch vor 20 Jahren, und es keinen gibt, der sie stellvertretend lebt, nur diesen fremden, eigenen Menschen, dieses durchsetzungsfähigste Spermium. Man sieht ihm an, dass er selten grübelt, warum dieses und nicht ein anderes, denn als letzte Instanz seiner Biologie hat er immer noch die Tradition. Auch wenn er seinem Sohn nicht zutrauen kann, in dieser Welt zu bestehen weiß er, dass eine Anlage, seine Erziehung, ihn nötigen wird, das Magnetfeld umzukehren, die Vorzeichen müssen sich ändern; er sagt es in den Gesprächen nicht so, wie er es seinem kindlichen Konto sagt: "Nicht wahr, du kümmerst dich, wenn wir nicht mehr können?“ Immer sage ich: „Ja.“. Im Geheimen plane ich, dass sie in ein sehr schönes Altersheim kommen, er und meine Mutter, die ihn geheiratet hat und jetzt jeden Augenblick zur Märtyrerin werden kann, zumindest bereitet sie sich schon lange darauf vor.

Zurück zu „Texte“

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: Google [Bot] und 9 Gäste