Der Tod der Kritikerin - Mysteriös 4. Teil

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Pentzw
Pegasos
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Der Tod der Kritikerin - Mysteriös 4. Teil

Beitragvon Pentzw » 01.11.2011, 14:28

Als der Chef draußen war, erhob sich erregtes Durcheinanderreden im Konferenzzimmer. Es wusste eigentlich keiner recht, was zu tun war. Vielmehr, sie wussten es nur zu gut: der Schriftsteller Bekannten- und Freundeskreis abklappern und in deren Privatleben herumschnüffeln. Eine unappetitliche Tätigkeit, die einem unüberwindlich scheinenden Berg von schmutzigster Wäsche gleichkam, die es da zu waschen galt.
Sie wussten zunächst also nicht, was zu tun war, um die Arbeit zu vermeiden oder zumindest einzuschränken so weit wie möglich.
Zudem, Spannung schien das auch nicht zu verheißen, bei dem Klientel!? Schriftsteller waren sowieso nicht ganz klar im Kopf – wer unterwirft sich freiwillig solch einer langweiligen Tätigkeit wie Schreiben?
Also, konnte man da nicht zumindest Strukturierter vorgehen, wie es in dieser gehassten Wissenschaftstheorie immer hieß, den Klientenkreis einkreisen, kurzum rigoros selektieren?
„Selektion“, Auswahl, Blütenlese - das klag so schön. Doch kam man auch nicht umhin, alles zu lesen. Nein, darum kam man nicht.
„Man müsste die von der Kritikerin am übelsten beleumdeten Autoren herausfiltern können.“
„Ja, aber dazu, dazu... dazu müsste man erst sämtliche Verrisse der Toten lesen.“
„Poah!“, „Mannomann!“, „Da legst Dich nieder!“
Schweigen entstand abrupt, langes, sehr langes Schweigen.
Die allerödeste, langwierigste und nervenaufreibendste Schinderei, die man sich fast denken konnte, lag vor ihnen.
Nein, widerstandslos werden sie sich keinesfalls dieser Fron ausliefern.
Nun, was war da zu tun? - Genau, das, was stets in so einem Fall zu tun war, wenn keiner wollte: man entschied durch Los.
Alea acta est. Danach brach sich Schweigen Raum. Ziemlich langes. Rücksichtvollerweise schwiegen auch die Glückskinder.
Endlich kam einem von diesen auserwählten Unglücksraben eine grandiose Idee. „Überlassen wir die Leserei doch dem Chef. Wollte der nicht selbst einmal Schriftsteller werden?“
„Ja, wollte er.“
„Na eben. Dann ist er doch dazu wie geschaffen. Schriftsteller können Schriftsteller am besten beurteilen. Und Kritiker wird man auch dazu zählen können irgendwie.“
Ja, das hatte etwas für sich. Versuchen konnte man es. Sollte der Kommissar ruhig den Beweis führen, ob diese Kritikerin sich als jämmerliche autorenfressende Medea oder als profunde Reich-Ranitzkin erwies. Dazu musste er sämtliche Publikationen der Kritikerin Müller-Wilhelmine-Huber-Wilhelmine durchforsten.
Verdruckst grinsten sich die zwei auserwählten Kollegen an. Genau, soll doch der Chef mal machen!
Wie verhielten sich die anderen? Einer brachte es kurz und bündig auf den Punkt: „Das geht aber auf eigene Rechnung!“ Verständlich, wer wollte es sich schon mit dem Chef verderben?
So ging dieses Paar, welches das Schicksal schwer mitgespielt hatte, ins Büro desselben.


Seltsam, dieser lächelte, als sie eintraten, allerdings versteckt hinter einem Glas Mineralglas.
„Gibt es etwa noch ein Problem?“, frage er dann. Eine spitze Bemerkung?
Die Pennäler standen vor dem Schreibtisch, sich nicht setzten trauend und rangen nach Worte. Als endlich einer ansetzte zu reden, wurde er unterbrochen. Der Chef bot ihnen Plätze an.
Er hörte sich die umständlichen Ausführungen gleichmütig an, aber einmal äußerte er doch spontan kopfschüttend: „Wer soll das bewerkstelligen?“ Dies tat er in einem derart ungläubigen Tonfall, dass es wohl keinem Sterblichen auf der Welt zu geben schien, der dies vermochte.
Müller Westernhaben führte aus: nur Vertreter der schreibenden könnten andere aus dieser Zunft einigermaßen einschätzen. Sie als Beamte könne man ausschließen. Leider. Trotz dieser interessanten Herausforderung. – Man denke sich dazu eine gedrechselte Ausdrucksweise.
Dabei bliebe es zudem nicht, nicht bloß beim Kritikenlesen. Letztlich müsse zu jedem Artikel eine Stellungnahme verfertigt werden, ob die Kritikerin recht oder unrecht gehabt habe. Nur ein Fachmann könne über die Berechtigung mehr oder minder versteckter Todesurteile darin befinden.
In den Hinterköpfen der Beamten tauchten Berge von Büchern auf, die sie zu erschlagen drohten, wenn sie an deren Inhalt von sinnlos aneinander gereihten Buchstaben dachten, die sie enthielten, die sich wiederum zu Wörter zusammensetzten, welche widerum sich in Sätzen gruppierten, sofern man überhaupt so weit kam und nicht in dem Zustand festsaß, den wohl William Shakespeare am besten auf den Punkt bringt: Wörter, Wörter, nichts als Wörter.
Worauf diese Rede hinauslief, war allerdings zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar.
Die anstehende Bitte war noch nicht spruchreif, und je nach Standpunkt fiel der Kommissar jetzt dem Bittsteller ins Wort oder legte ihm mit dem folgenden das Stichwort auf den Präsentierteller: „Ja, wer soll das denn machen, wenn nicht wir?“
„Sie, auch einmal Schriftsteller, können das doch am besten.“
Das war seine Trumpfkarte, der aber in unerwarteter Weise pariert wurde.
„Nein“, lachte der Kommissar hellauf wie über einen zünftigen Witz. „Das ist wohl ein schwaches Argument. Kein Autor versteht Kritik. Jedes leichte Kratzen an seiner Oberfläche erfährt er als scharfen Schwerthieb, glaubt mir.“
„Hm, ja!“, räumten die beiden Kollegen ein. „Da ist etwas Wahres dran. Schriftsteller geht das Gefühl für die Realität ab, stimmt schon.“
„Tja! Deswegen taugte ich auch nicht fürs Schreiben und wurde Kriminaler.“
Müller Westernhaben gab sich nicht geschlagen und hob den Zeigefinger: „Moment, trotzdem müssen Sie das machen! Ganz einfach, weil keiner anderer für diese Aufgabe annähernd in Frage kommt.“
Damit stoppte er einen Moment. Tiefes Durchatmen und die Gedanken gesammelt.
„Wenn einer, dann müssen Sie diese Dinge lesen, als Schriftsteller...“
„Ich muss doch bitten!“
„Entschuldigung, halt als Beinahe-Autor...“
Der Kommissar lächelte zufrieden darüber. Es erinnerte an Beinahe-Unfall im Luftverkehr. Man stelle sich die Folgen vor, denen man entgangen war.
„Oder Pseudo, egal, wie man das nennen will. Unter den blinden Hühner sind sie der Einäugige, oder wie das wieder heißt.“
Der Kommissar unterließ es wohlweißlich, ihn zu verbessern, damit nicht ein falscher Verdacht auf ihn fiel.
„Keiner kann das so wie Sie. Sie kennen uns doch, Chef!“
Der Chef seufzte instinktiv unbedacht aus. Unüberlegte Zustimmung war das jetzt.
„Und sehen Sie, wenn Sie erkennen, da ist einem verrissenem Autoren von der Verblichenen Recht geschehen mit einer ihrer Kritiken, dann wissen wir, den können wir in den Täterkreis einbeziehen.“
„Meinst du nicht Unrecht jetzt?“, meinte der andere.
„Nein, ich meinte Recht.“
„Aber das ist doch unlogisch!“
„Nein, das ist sehr logisch, nämlich psychologisch.“
„Wie das? Das verstehe ich nun nicht?“
„Dann lass Dir gesagt sein: Nur diejenige Kritik trifft, die stimmt. Stimmt’s?“ Damit drehte er sich dem Chef zu. Das war natürlich pure Schleimerei.
Der Chef grinste feist, während er die Augen schloss und sagte: „Kollege Westernhaben. Da ist etwas Wahres dran. Das stimmt prinzipiell immer – wenn, wenn man, wie soll ich mich ausdrücken, ohne jemanden zu Nahe zu treten...“
„Aber wir sind doch unter uns, Boss!“
„Richtig. Ich will’s mal so formulieren. Können Sie Autoren zu normal tickenden Mitbürgern unserer zivilisierten Gesellschaft zählen?“
Das war harter Tobak. Bevor jemand darauf zu reagieren vermochte, klingelte das Telefon. Der Kommissar hob ab und murmelte fortgesetzt „Hm!“ „Hm?!“, Hm!?“, „Hm!“, in den verschiedensten Tonlagen, wie man sieht.
Da klopfte etwas Besonderes hinterm Busch.
Tatsächlich, als der Kommissar den Hörer auf die Gabel haute, prustete er voll aus: „Das gibt es doch nicht!“ und „Ich glaube, mich laust der Affe!“, wobei er sich am Hinterkopf kratzte.
Er stand auf, ging hin und her, verschränkte die Hände hinter dem Rücken, schaute aus dem Fenster, schüttelte den Kopf und kam schließlich wieder zu seinen Kollegen zurück.
„Jetzt haltet Euch mal fest, Leute. Seid ihr gut im Rätselraten?“
„Ähm, kommt drauf an, um welche Art von Aufgabe es sich handelt. Bei Ziffern würde ich sagen...“ Aber Genaueres interessierte hier niemanden.
„Schon gut, schon gut, Westernhaben! Die Pathologie hat mich gerade angerufen. Sie berichten, dass aus dem Mund der Kritikerin noch immer unaufhörlich eine schwarze Flüssigkeit, so etwas wie Tinte, fließe wie, wie...“
„wie das Blut bei der Heiligen Jungfrau von Tschenstochau...“
„oder Bernadette Soubirous von Lourdes...“, der andere.
„Genau!“
„die Heilige Jungfrau von Goudeloupe...“
Keiner vermochte mehr etwas herauszubringen ob dieser Dimensionen.
Baffes Schweigen.
Der Kommissar fragte: „Überlegt euch mal, was das bedeutet?“
Man suchte nach Worten.
„Dass die Mediziner am Ende ihres Lateins sind“, meinte endlich Meyer.
„Idiot! Ich meine natürlich in sozialer Hinsicht!“
Das war schon recht ausfallend, aber die Kollegen nahmen dies ihrem Chef nicht übel, sprach doch der alte wieder daraus hervor.
Sie sahen Horden von Journalisten, Kritiker und Feuilletonisten an den Schauplatz des grausigen Mordes heranpilgern, erblickten Buden bestückt mit Reliquien, Heiligentondos, Devotionalien, Votivtafeln, Broschüren mit Märtyrerlegenden und dergleichen bigotten Firlefanz mehr wie Pilze aus dem Boden schießen; ein Denkmal enthüllt werden, die Kritikerin mit aufrechter Haltung auf einem hohen Sockel stehen, in der Mitte der Stirn einen Federkielstift herausragen und eine Hand in die Höhe gestreckt mit einer Eule; darunter die ewig gültigen Worte gemeißelt: „Freiheit des Wortes!“
Michel Westernhaben, schon etwas geübt darin, vermochte als erster diese Horror-Vision in Worte zu fassen: „Eine Märtyrerin der schreibenden Zunft. Ein Wallfahrtsort von verkannten Schriftstellern, Journalisten und dergleichen Schreibenden wird entstehen. Nicht auszudenken!“
„Ihr habt es erfasst..“
Der Chef nahm einen tiefen Schluck von seinem Mineralwasser, räusperte sich und machte eine wegwerfende Bewegung über den Schreibtisch, als befände sich dort Staub oder Fusel. „Vergessen wir einmal diesen Aspekt. Nun zur Sphinx.“
„Hä? Äh, wie bitte?“
„Zum Rätsel, Männer, zum medizinischen Mirakel. Natürlich...“
Er lehnte sich wieder gemütlich zurück in seinen Chefsessel, dabei erneut die Hände wie zum Gebet über seinen riesigen Bauch gefaltet.
„...ist die Frage zu stellen hinsichtlich unserer These: Selbstmord oder Fremdeinwirkung?“
Momentan wusste keiner eine Antwort darauf zu geben, ob dieses Rätsel und irrationale Phänomen der nicht versiegenden Quelle schwarzer Tinte, das durch die Galle unaufhörlich abgesondert wurde, wenn es sich denn darum handelte, mehr zugunsten der einen oder anderen Theorie ausschlug.
Aber der Kommissar vielleicht.
„Sagen Sie es uns doch endlich!“
Dieser lächelte hinter seinen geschlossenen Augen und über seinen über den Schmerbauch gefalteten Händen. „Dazu brauche ich noch ein paar Beweise, bevor ich mit meiner Schlussfolgerung hervortrete.“
Enttäuschung stand auf den Gesichtern der Untergebenen geschrieben: wieder einmal an der Nase herumgeführt worden. Das war gemein! Erst in einem Ton Fragen stellen, als wüsste er die Antwort. Schließlich stellte sich heraus, dass er letztlich so klug war wie sie: nämlich überhaupt keinen blassen Schimmer besaß.
Plötzlich öffneten sich Strobls Augen, das Grinsen verschwand augenblicks auf seinen Lippen und die Augen blitzten: „Meine Herren, an die Arbeit!“
Die Herren standen auf.
„Und Sie wissen, was Sie zu tun haben!“
„Jawohl, Chef!“
„Schönen Guten Tag!“
Der Gruß war purer Zynismus: Von ihrem Vorschlag war nicht mehr die Rede.
Aber sie verzogen sich schleunigst.
Und so trennte man sich bestimmt nicht in freudiger Erwartung auf die verschlungenen Pfade, die zur Lösung dieses Falles führen würden.
Es galt jetzt, diese ganze sensible Schriftsteller-Bagage zu durchleuchten. Lieber wären ihnen eine extrem gefährliche Bande von richtigen Schwerverbrechern, Kleinkriminellen oder sonstigen harten Jungs gewesen.
Sie seufzten schwer, als sie das Polizeigebäude verließen und bestimmt nicht wegen der peitschenden Regenschauer, die die Straße schlugen.
Der sturmwolkenverhangene Himmel war kein Zufall und keine unbegründete Laune des Wettergottes – unkte Westernhaben.
Aber „Wettergott“, was nur fiel ihm ein? War er schon so von den Poeten am Wickel gepackt? Mensch, komm zur Vernunft!
Besser es regnete Mäuse und Katzen als schwarze Gallenabsonderung, dachte er weiter...

http://pentzw.homepage.t-online.de/literatur.htm

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