„Natürlich! Klarer Fall!“, kam es jetzt im Chor, aber entsprechend hatte auch das wie ein Allgemeinplatz geklungen, woraufhin allgemeines Schweigen aufkam. Der Banalität dieser Aussage war leider nichts hinzuzufügen.
Um die entstandene Lücke zu füllen, fragte der Kommissar nach dem Namen des Opfers.
„Müller-Wilhelmine-Huber-Wilhelmine“, entnahm Meier-Wilhelm-Kaiser den Namen aus den Unterlagen. Er schaute lieber noch einmal hin, weil das doch komisch klang, bestätigte daraufhin aber.
„O Jesses. Mit diesen Namen war die arme Person doch schon genug gestraft. Hatte man sie noch auf solch bestialische Weise umbringen müssen?“, meinte er.
Ein Raunen war zu vernehmen, fast geisterhaft aus einer anderen Welt: „Wie kann man sich nur so einen Namen zulegen?“
Stille entstand wieder, Stille des Mitleids.
Bis der Kommissar diese unterbrach: „Männer, das ist ganz einfach. Sie hieß ursprünglich Müller, heiratete einen Wilhelmine, trennte oder wurde von ihm getrennt, hielt ihren Ehenamen bei, als sie erneut heiratete, Müller-Wilhelmine, das gleiche bei ihrem neuen Ehemann, der Huber-Wilhelmine hieß und diesen sehr schönen Doppelnamen in die Ehe einbrachte, so dass dieses schillernde Familienname einstand: „Müller-Wilhelmine-Huber-Wilhelmine“.
So gesehen war das wirklich ganz simpel. Gar mancher dachte daran, wie jemand später in ein paar Generationen genannt werden will, wenn sich diese Doppel-, Trippel-, Quadro- undsofort Namen weitervererbt haben sollten. Wie bei den Arabern anno dazumal, die mit mindestens 101 Titeln und Ehrennamen angeredet wurden, um ihnen die gebührende Ehrerbietung zu zollen.
Sie dachten sich selbst diverse Namen aus, mit denen sie ihrereiner hätte angeredet werden können: „Oberkrimalstabsunterrat...“ undsoweiter, bis die brüske Stimme des Kommissars solch süß-saure Gedanken aus den Erzählung von 1001 Nacht sympathisch unterbrach: „Leute, gebt euch einen Ruck. Wir müssen Nägel mit Köpfen machen.“
Da ist er wieder, dem man so gut kannte. Das ist der richtige Ton.
Man lächelte allenthalben, während man seinen Rücken in den bequemen Sitz schmiegte.
Aber wie gewonnen, so zerronnen, mit der nächsten Aussage verscherzte er sich wieder seinen Bonus: „Also, wie kann man eine Theorie widerlegen?“
Er blickte auf eine Mauer der Ratlosigkeit. Alle dachten nämlich: hatte er das nicht vorhin so oder so ähnlich schon gesagt?
„Herrgott’s, stellt ihr euch vielleicht an. Ist das so schwer?“
Jetzt war er wieder der Alte. Man lächelte.
Er jedoch war mit seiner eigenen Aussage nicht zufrieden, weil sie ihm unwissenschaftlich erschien und formulierte anders: „Um eine Theorie zu falsifizieren, sammelt man Tatsachen, die gegen diese sprechen. Nun, gehen wir einmal von der Annahme der Fremdeinwirkung aus. Welche Fakten sprechen dagegen?“
Schweigen.
Warum kam der Chef erneut damit?
Egal, einer, Müller-Huber-Meier, sprang wieder einmal vor: „Eine Menge!“, wobei er das Bild der Kritikerin an sich riss und in die Runde hielt: „Also, von einer Beziehungstat brauchen wir hier gar nicht erst auszugehen.“
Alle grinsten hämisch und nickten einvernehmlich.
Dann war ja alles klar! Die Kritikerin musste Selbstmord begangen haben. Man freute sich über die Einhelligkeit und die Stimmung hellte sich wieder auf.
Der Chef verstand jedoch heute überhaupt keinen Spaß: „Ich musst doch sehr bitten, meine Damen und Herren. Reißen Sie sich etwas zusammen. Wir sind hier nicht an einem Stammtisch. Zeigen Sie, dass sie Profis sind!“
Das war zwar wieder der Alte, aber zu freuen gab es darüber auch nichts.
Und weiter, der Unsympathisant von einem Kommissar, wieder streng auf seiner „wissenschaftlichen„ Schiene reitend, versuchte die Untersuchung erneut anzustoßen so, wie er in einer seiner Seminare gelernt hatte.
„Nun, soweit so gut. Das ist das Eine. Aber, was spricht nun für die Hypothese der Fremdeinwirkung?“
„Tja!“, meinte ein Witzbold. „Wenn, dann wäre das ein eindeutiges Zeichen dafür!“, damit hob er noch einmal das Bild der Kritikerin in die Höhe, schaute es einen Moment an, bevor er es wieder, Kopf schüttelnd, weglegte, „dass wir es hier also mit einen wirklich besonders kaltblütigen Mörder und Psychopathen zu tun haben. Jeder andere Mensch hätte Mitleid empfunden.“
Alle prusteten vor Lachen heraus, so dass sich Strobl genötigt sah, mit der Faust auf den Tisch zu hauen. „Jetzt habe ich aber genug. Wenn ab jetzt nicht augenblicklich mit ein bisschen mehr Ernsthaftigkeit an die Sache herangegangen wird, dann, dann... Sie wissen, was das bedeutet!...“
Sofort war Stille entstanden. Klar, das waren Profis. Ein jeder wusste auch, was da winkte: Verzögerung der stets dringend erwarteten nächsten Beförderung auf der Karriereleiter.
Meier-Wilhelm-Kaiser meinte nunmehr weise, logisch und analytisch einmalig unter diesen Profis, wie er nur es beherrschte, sollte es sich doch um keinen Suizid handeln, käme als Täter nur ein zweitrangiger Schriftsteller in Frage. Das war, wie man sagt: eins und eins ist zwei, wobei der Redner sich darüber keine Rechenschaft abgelegt hatte, was das für einen Rattenschwanz nach sich ziehen würde.
Andere um so mehr. Sie plusterten die Backen auf und heraus kamen mit dem Luftstoß die Worte: „Au Backe. Da können wir lange suchen. Versuchen wir es doch lieber bei bekannten Autoren, davon gibt es weniger.“ Erdrückende Massen von Bücher kamen auf sie zugestampft, um sie niederzuwälzen.
Aber der Kommissar ließ sich von keinen Emotionen leiten.
„Gut, Meier-Wilhelm-Kaiser.“ Lob konnte nicht schaden. Das würde vielleicht die anderen anspornen.
„Wir sind ja von Fremdeinwirkung ausgegangen. Nun, die erste Frage ist: wer hat Interesse daran, dass das Objekt des Todes aus den Weg geräumt wird? Soweit ich weiß, hatte dieses keine verwandtschaftlichen Bindungen mehr. Wen als könnte sie auf den Schlips getreten sein? Diese Kritikerin für Literatur?“
Da ihm einige entgeistert anschauten, rutschte ihm daraufhin ein unschönes „Hm!?“ heraus.
Er gab deshalb lieber selbst die Antwort darauf.
„Ein Objekt ihrer Kritik natürlich, meine Herren. Das wissen Sie selbst, das brauche ich ihnen nicht aus der Nase zu ziehen. Nun, aber wenn es ein Schriftsteller war, der von der Kritikerin verletzt worden ist, tödlich verletzt sozusagen, ähm, was müssen wir dann schließlich tun?“
Diese Fragerei, Hinterfragerei und Querdenkerei, die der da auf der Uni lernte, stellte doch wirklich jedes und alles in Frage und verbreitete Unsicherheit.
„Davon müssen wir unbedingt ausgehen!“, pflichtete ein Mitarbeiter bei. „Das spricht insofern für Fremdeinwirkung!“
Da war’s wieder: das Sich-im-Kreise-Drehen. Das wussten sie doch mittlerweile schon längst, das lag ja auf der Hand, das hatte ihnen doch der Chef nachgerade in den Mund gelegt. Diese Aussage führte jetzt konkret gesehen auch nicht weiter.
Scheinbar übertrug sich diese Begriffsstutzigkeit seiner Mitarbeiter auf den Chef selbst. Oder war er von seiner eigenen Logik verwirrt, die ihm an der Universität eingetrichtert werden war, dass er verwirrt erschien, als er sich jetzt nachdenklich am Kopf kratzte und ausstieß: „Ob so oder so, solch ein bestialischer Mord ist mir noch nicht untergekommen in meiner 30jährigen Laufbahn.“
Klar, dass das jetzt der Gipfel der Banalität war.
Er nahm hurtig einen Schluck aus Glas und meinte hastig, um schnellsten zum Ende zu kommen, damit er wieder geistig Kraft schöpfen und einen neuen Anlauf starten konnte, egal, ob die eine oder die andere Seite recht habe, letztendlich müssten sie zunächst zweigleisig fahren. Er schlage vor, wenigstens Stichproben bei den verletzten Schriftstellern durchzuführen, jeder Ermittler zwei Autoren, würde er gesagt haben.
Die Profis reagierten professionell, nämlich äußerlich kaum.
Der Kommissar räusperte sich noch und rief zum Aufbruch auf. „Also, meine Herren. Ihr wisst, was ihr zu tun habt!“
Dann ging er vorbildhaft selber als erster aus dem Zimmer. Dass die Sitzung zu Ende war, war er selbst wohl am frohsten darüber.
http://pentzw.homepage.t-online.de/literatur.htm
Der Tod der Kritikerin - Methodisch 2. Teil
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