Der Kracher - eine Fortsetzungserzählung Teil V

In diesem Forum kann sich jeder mit seinem Text der Kritik des Publikums stellen. Selbstverständlich auf eigene Gefahr ...
Pentzw
Pegasos
Beiträge: 1052
Registriert: 11.04.2011, 19:59

Der Kracher - eine Fortsetzungserzählung Teil V

Beitragvon Pentzw » 28.07.2011, 00:09

Der ewige Lächler

Der Kracher öffnet nun schwungvoll die Tür zur Geschäftsleitung, wobei er sich mir zudreht und mich als erstes hineinbittet, natürlich weniger eine Höflichkeitsgeste denn eine Vorsichtsmaßnahme. Er kommt hinterher, schließt mit festen Nachdruck die Tür hinter sich und schreitet zum in der Mitte des Raumes Sitzenden hin, um mit diesem zu reden. Dazu muss er sich herabbeugen, um ihm etwas ins Ohr zu flüstern - eigenartig, ist ja sonst niemand im Raum, um dieses Staatsgeheimnis publik machen zu können.
Was ich erkennen kann, überrascht mich kaum: äußerst gepflegt und adrett aussehender Mann, schnieke eben, die unvermeidliche karierte Krawatte, weißes Hemd, blaue auf Bügelfalte getrimmte Hose und als hätte er diese mit gekauft, verzieht er selbst dann noch nicht sein starres Lächeln, als er von seinem Untergebenen die Ernsthaftigkeit der Situation ins Ohr geraunt bekommt.
Dieses Haltung, nicht die geringste Miene zu verziehen, als könnte diese ständige Lachfalte um die Mundwinkel in Unordnung geraten– der Ober-, aber wirklich Ober-Ober-Chef schlechthin.
Man möge mir diese Klichee-Beschreibung verzeihen, aber was kann ich schon dafür? Es ist zudem klar, dieser Ober-Ober- Chef hier wird sich hüten, sich nur einen Anflug von Schmutz auf seinen Händen zuzuziehen, dafür hat er seine Büttel und Kettenhunde wie den Kracher eben – so denke ich beim ersten Anblick dieses Bilder-Buch-Chefs.
Mein saueres Grinsen vergeht mir aber ganz gehörig, als ich schließlich realisiere, mit wem ich es wirklich zu tun habe.
Zunächst aber steht dieser Chef gemessen auf oder erhebt sich galant, wie es angebrachter wäre zu sagen, um mich zweifelhaften Subjekt vordergründig zu begrüßen, aber hintergründig mich genau zu inspizieren, mit wem er es tatsächlich zu tun habe. Bücherklauer unterscheiden sich gewiss um Himmelslängen von sonstigen Dieben: Käuze mögen darunter sein, verkannte Wissenschaftlicher, einsame Poeten, kurzum gescheiterte Existenzen aus dem illustren Gelehrtenkreis.
„Willi!“, stößt er aus, anscheinend überrascht. Und er lächelt!
Dieses Mal ist es jedoch nahezu echt, dieses Lächeln, da bin ich mir hundertprozentig sicher.
Tritt mir doch ein alter Freund entgegen, reicht mir herzlich seine Hand, schüttelt diese und kommt wenige Zentimeter mit dem Gesicht an meines heran, eine Geste der spürbaren Intimität und Verbundenheit, um mir im freundlichsten Tonfall die Worte entgegenzuhauchen: „Schön, dich wieder einmal zu sehen! Willi!“ – nein, das tut er nicht.
So stark sind die Freundschaftsbande auch nicht, niemals gewesen.
Dieser Bekannte steht stattdessen völlig perplex vor mir und stammelt: „Willi!“ Aber,trotzdem, darauf verwette ich alles, was mir heilig ist, lächelt er aus einer wie auch immer gearteten Freundlichkeit heraus. Ja, das tut er!
Woher weht da der Wind?
„Willi!“ Nun, er hat diesen Namen oft genug von meinen Freunden gehört; in einer Kleinstadt wird doch viel geredet. Trifft man sich, wird nach Michael, Bernd und Will gefragt. Von daher bin ich ihm in einem Ausmaße begegnet, als ob ich ständig in seinem Buchladen ein- und ausgegangen wäre.
So betrachtet müssten wir uns zwangsläufig als sozusagen gute, alte Freunde begegnen – also von der Häufigkeit meines Namens, den er gehört hatte, meine ich.
Nun, dem ist aber nicht so, denn er kennt mich hauptsächlich vom Hören-Sagen und nicht zu gering zugegebenermaßen.
Man weiß doch, wie die Gerüchteküche in einer Kleinstadt brodelt. – Aber, habe ich schon gesagt. Obgleich man das nicht oft genug sagen kann, glaubt Sie mir!
Abgesehen davon ist zu bezweifeln, ob Michael überhaupt jemandes Freund ist oder das Gefühl für Freundschaft gegenüber jemanden empfindet. In Michaels Welt gibt es keine enge Freundschaftsgefühle – Verbundenheits-Gefühle schon, aber nur für seine Familie allenfalls - und wenn er weiß, was Freundschaft bedeutet, dann als ein Indikator fürs Geschäft.
Aber ein bisschen Illusion schadet nicht, denke ich.
So antworte ich gleichsam vom Herzen kommend mit: „Michael!“ und steigere mich der Echtheit willen dahinein, hier einen „guten alten Freund“ zu treffen, sage mir gleichzeitig, um die Wahrhaftigkeit ein bisschen anzuheizen, „schöne Scheiße“, hier einen „Kumpel“ zu treffen.
Naja - schön. Wenn! - Doch dem ist nicht so!
Aber gut, nähre die Illusion, Michael soll als mein Freund auftreten, sei es ihm gegönnt. Und ich trete als sein Freund auf, auch gut. Der Gelackmeierte ist der Kracher – und dem kann es bestimmt nicht schaden, an der Nase herumgeführt zu werden..
Ich sage weiter: „Michael! Ich fasse es nicht.“
„Du bringst mich in eine unangenehme Lage, Willi!“ Aber er lächelt.
„Ich weiß, Michael, es tut mir...“, eine Kunstpause gesetzt, „Leid...“, noch eine daraufgesetzt, „wegen dir!“
Er hört die Ironie heraus, die in diesen Worten mitschwingt.
Darüber lacht Michael gekünstelt oder nicht. Jedenfalls bedeutet es, trotz Sumpf, in dem er vorgibt zu stecken mit dieser unangenehmen Situation hier, steht er über den Dingen.
Er hat auch sofort die Lage erfasst, in der ich mich insgeheim suhle wie die Sau im Morast.
Er weiß sehr wohl, was „dagegen sein“ heißt!
Ja, wo leben wir denn? In einer modernen Welt! Das heißt, Buchhändler sind absolut alternativ, wenngleich sie jeden Schamott verkaufen, Anti- genauso wie Pro-Bücher äußersten Ausmaßes, in einem solchen Megaladen wie hier sowieso.
Modern, ja, aber das ist etwas anderes, was ich im Kopf habe.
Sie drücken einem stets den Eindruck rein, man wäre im Recht, durchs Lesen dächte man bewusster und stünde somit über den Konformisten der Gesellschaft. Auch nur eine Illusion!
Sei’s dahingestellt, wie groß auch immer die Empathie und Sympathie dieses sehr erfolgreichen Buchhändlers Michael fürs Außergewöhnliche und Antitum sein mag, nun ist es ein Problem für den Verständnisvollen. Er gehört selbst mittlerweile dazu, zu den Jasagern, zum Establishment, zu den Gelackten und diesem ist nun schwer an den Karren gefahren worden. Mit mir. Einen Freund. Grins.
Was tun?
Unterdessen, was wir nicht mitbekommen, tut Kracher etwas, was er nicht hätte tun sollen und was weder mir noch Michael gelegen kommt. Er geht zum Telefon auf dem spartanischen Schreibtisch und wählt eine Kurznummer. An der richtigen Stelle herausgekommen, entledigt er sich seiner Aufgabe mit den kargen Worten, die aber ihre Wirkung in der entgegengesetzten Richtung effektivst entfalten.
„Hier Verlagsbuchhandlung Fiola!“ „Ach ja! Ist es wieder einmal so weit?“ „In der Tat, Herr Polizist!“ „Ich komme sogleich!“ „Jawohl!“ Und aufgelegt.
Und wir, Michael und ich, haben nicht die Bohne davon mitgekriegt, während wir uns mit ein bisschen Schaumschlägerei über die Verlegenheit gerettet haben.
Michael setzt sich jetzt ahnungslos hinter seinen Schreibtisch, wobei er zum Kracher spricht: „Ist schon gut, Bill. Ich händle das schon!“ Der Kracher, mir noch einen verächtlichen Blick zuwerfend, schleicht sich. Na, was es da zu regeln gibt, bin ich einmal gespannt – völlig ahnungslos, was bald auf mich zukommen wird.
Noch fühle ich mich sicher, geradezu entspannt, als ich mich in die angenehme Sitzgelegenheit hier im Raum plumpsen lasse und es mir bequem mache. Ich bräuchte hier keine albernen Lügengeschichte aufzutischen, nichts zu beschönigen und ich bin absolut gewillt, die Wahrheit geradeheraus zu sagen. Bei mir ist ja Michael!
„Wie gehen die Geschäfte?“, frage ich interessiert. Eine reizende Frage in dieser Lage.
Michael lächelt wieder sein gewinnendes Lächeln, das keiner so hinkriegt wie er. Es muss einfach echt sein. Aber er stöhnt. Labert von Verantwortung, wie viel auf dem Spiel stehe, durchaus glaubwürdig, ich nehme es ihm ab. Man kann es sich gut vorstellen: ein solch bedeutendes Verlagshaus übernommen zu haben, eines der größten in Deutschland. Das ging wahrscheinlich nicht ohne Kreditaufnahme, hohe Verschuldung und den ganzen betriebwirtschaftlichen Pipapo ab. Wenn’s schief ginge, na dann, aus mit Villa und großem Grundstück außerhalb der Stadt, mit Mercedes Benz XYZ, und, ich will es gar nicht wissen, was alles.
Michael ist ein Filou, dem der Schalk aus jedem seiner Worte herausspricht. Er kann eine ganze Stadt einwickeln, sülzen, das sich die Balken biegen, indem er vorgibt, jeden vielversprechenden Autoren dieser Stadt, es war noch in der Kleinstadt, zu fördern, groß herauszubringen und einer breiten Leserschaft zuzuführen, sofern, ja, sofern er gut wäre. Das war natürlich keiner!
Ist dieses Versprechen ein Werbe-Trick gewesen? Man sagt so etwas halt, damit verkannte Autoren Hoffnung bekämen und in die Buchhandlung rennen.
Man weiß niemals recht, woran man bei Michael ist. Nett, freundlich, verbindlich und letztlich unfassbar ist er, ein Geschäftsmann wie er im Buche steht, der ewige Lächler. Nunmehr, heute befindet er sich zurecht am Zenit seines Erfolges, keinem anderen hätte es besser zugestanden als dem lieben, netten Michael aus gutem Hause, großbürgerlichen, versteht sich.
„Also, Michael. Das war so!“ Ich verklickere ihm die Umstände des Bücherklaus, natürlich vor allem das Weshalb. „Der Kracher hat mich einfach aufgeregt!“
„Wer, der Kracher? Wer ist der Kracher?“
„Na, dein Fußsoldat“, wäre mir beinahe herausgerutscht.
Es ist Zeit, dass Michael erfährt, was ich von ihm halte, es ist eine sehr gute Gelegenheit jetzt, natürlich nur durch die Blume, wenn auch unmissverständlich.
So sage ich: „Dein Bediensteter,“, was immer noch gewagt klingt. Ich berichtige mich aber: „Dein Angestellter halt“
Michael lächelt und nickt. „Ich verstehe!“ - Ich brauche ab jetzt nicht mehr erwähnen, dass man sich Michael förderhin stets lächelnd vorstellen muss.
Natürlich versteht Michael, das habe ich nicht anders erwartet. So tief steckt er noch nicht im kapitalistischen Sumpf, dass er das nicht verstehen könnte. Ich merke, in seinem Schädel rotiert es, er rechnet sich im Geiste aus, was ihm teuerer kommt: einen Freund dem Galgen auszuliefern oder ihn laufen zu lassen? Dahinter steckt wohl der gleiche Algorithmus wie damals, als er dieses populistische Buch eines Rechtsradikalen verkaufte, wo er sich ausgerechnet hatte: du verdienst mehr durch Lauf- als durch den Verlust von Stammkundschaft wie ich einer war, der sich durch solche Bücher vergällen lässt. Geschäft ist das eine, Freundschaft das andere.
Und nun zur dritten Illusion: meiner Unschuld

Zurück zu „Texte“

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 3 Gäste