verdrängung

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shuya
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verdrängung

Beitragvon shuya » 14.11.2010, 03:13

vor einem jahr schrieb ich für ein kunstseminar "experimentelle raumkonzepte" und "experimentelle gestaltungskonzepte"
ein buch zum thema verdrängung, führte interviews, ging durch die stadt.

das buch selbst kann nicht abgeschlossen werden, glaube ich, meterlange papierstreifen, kleine und große seiten füllten sich wie von selbst auf der schreibmaschine
bis ich irgendwann die schreibmaschine in einer kiste unter vielen kisten gesteckt habe um aufzuhören.

("(...) das klavier das eine letzte melodie
vom lied der zurückgebliebenen
kinder die nun ohne ihren vater
und kinder die nun ohne ihre unschuld
hat er durstig nach worten
acht hektoliter sperma in der welt verteilt
und borghes kryptische briefe geschrieben
in der essenz aller worte, einer sprache die nur noch so wenige
nun noch weniger wo borghes und
er
ein krebs der nach seinem herz
alles aus ihm heraus bis er schrieb
es seien noch lieder zu singen
es sind noch lieder zu singen
vom leben der zurückgebliebenen
den tausend geschichten die sich alle nicht decken
den bebenden mündern, dem vorrecht darauf im recht zu sein
eine wahrheit zu erben
von diesem mann dessen herz
so leergesaugt von diesem großen kopf
ich stimme ein in eure müdigkeit
meine hände zittern unablässig (...)")

hängen bleibt ein interview, aufgenommen in 2 teilen
vielleicht eher ein inszeniertes gespräch, ohne skript, ohne ansage
ein diktiergerät und losreden.
ich habe die texte auf lesungen vorgetragen, in einer rauminstallation ausgelegtgehangengeknüllt
aber das gespräch haben nur 4 leute gehört
es versauert (ähnlich wie jetzt das buch) irgendwo und spricht nicht zu den menschen.
daher würde ich es gerne zum hören hier hinstellen, vielleicht findet jemand die zeit und findet es gut, oder kontrovers.
teil 1: http://www.tiefflug.net/WS_10033.mp3
teil 2: http://www.tiefflug.net/WS_10034.mp3

falls jemand noch ein wenig vom buch abgetippt haben möchte, aus interesse, mach ich das auch gerne.

hginsomnia
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Re: verdrängung

Beitragvon hginsomnia » 14.11.2010, 20:00

shuya hat geschrieben:falls jemand noch ein wenig vom buch abgetippt haben möchte, aus interesse, mach ich das auch gerne.


Sehr gerne, so du magst. Ich finde das spannend. Auf das Gespräch kann ich erst zurückkommen, wenn ich rausgefunden habe, warum mein Rechner keinen Ton wiedergibt. :-)

Zu dem ja hier recht kurzen Textauszug: Ich mag die artifizielle Herangehensweise, die hier, so beurteile ich, einem schön assoziierendem, gleichsam kunstvoll verwebtem Gedankenbaukasten seine Form verleiht.

lg
hginsomnia

shuya
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Re: verdrängung

Beitragvon shuya » 14.11.2010, 23:16

der gedanke der mir, lichterloh brennend oder strahlen, lichtsiebe
dass mir kindheit entgegen, die brandung / keiner funktion mehr
bedacht, mit / nichts belehrendes, kein fingerzeig der mutter oder
die weihnachtsgeschenke so offensichtlich auf dem wandschrank versteckt
ein ungeniertes spiel mit meiner neugier, dass mir selbige verleidete
fand ich viel später erst heraus. ich habe erinnerungen an das reh in meiner
küche, fast vergraben, wie es hilflos, in ewige überraschung gefroren
mich anstiert als solle ich es retten vor meinem fleischer von papa
seine messer sind immer scharf, er teilt knochen und gewebe und auf den
brettern, für fleisch die, dass ich allabendlich essen sollte, manchmal fand
ich, er heilte dann los an mir vorbei ins bad, ein stück finger dort, neben
den stolzen messern. ein stück finger vor dem abendessen.

vadim hat sich um-
gebracht

die pistole, welche er auf fotos immer so stolz in die kamera zeigte,
meine zitternden hände, dass seine liebe zu mir ihn überwältigen könnte
und er abdrückt, kam mir oft. dieses mädchen, ich habe ihren namen irgendwo
aufgeschrieben habe ich, sie schlief mit ihm, ist aber auch tot mittlerweile.
alles in allem bleibt nicht mehr viel von ihnen übrig ausser ein paar anekdoten
von bukowski und kerouac, die ich in sentimentalen barkbankbesäufnissen
vor mir herschiebe, wie unerledigte aufgaben. glaube ich fest an das was
ich mich selbst nenne, eine identifikation von mir weg zur marke hin einem
sozialisierten branding. meine angst vor gegenwärtigkeit
das profil zu verlieren
ich mache mich - extern - zu einem gemüse
oder woher rührt dieser mangel an dramatik, den ich in der gegenwart verspüre
dass alles auf gerade einmal die nötigsten emotionen reduziert und im vergleich
zu einem kinobesuch so ausgekühlt wirkt. in meiner wohnung zieht es,
ich zünde mir eine zigarette an um den winter zu vertreiben, ein gängiges ritual
welches ich so selbstverständlich betreibe, dass ich es fast schon gar nicht
mehr wahrnehme. dass mir auch alles so unbeholfen aus dem mund fallen muss
dieses rinnsal an worten, so sorgsam zurückgekämpft, nie oder nein, selten
aber sorgfältig ausfomuliert. wie ermüdend ich auf mich wirke, mit diesem
verquerulantem selbstbild von weltschmerz auf dem rücken.
mein herz hat ein leck und es rinnen wahllos teilhaftigkeiten oder halbwahr-
heiten in meinen magen. klavki sagte, bevor er starb sagte oliver,
mein geist ist ein magen.
tropfen welche ich in ihre bestandteile seziere, neurotisch oder euphorisch
auf der suche nach einer weltformel, die mir das alles erklärt, wie man
die konstruktion fallen lässt, nicht irgendwie sondern einfach ist, bis man
keine festen eigenschaften mehr hat, nur gegenwärtige und dass alles nur jetzt
passiert. weil ich vor jahren eine tür, eine echt, öffnete und der geruch
von verbranntem menschenfleisch wieder da war und alles tagelang so latent
danach roch, dass ich nichts mehr essen konnte ohne zu kotzen oder laura
die sagte, ich liebe dich, das heisst ich liebe dich und nicht ich will dich
dass mir das alles so scheisse nah ging, dass ich aus reflex schon wie betäubt
war. ich erinnere mich an einen keller im krieg und dass der krieg öffnungs
zeiten hatte und um achtzehn uhr war die straße leer und die schweine kamen
überall waren da schweine, und in deutschland tauben überall, dunkel und hell
irgendetwas mit einer melone war da noch und affen die mich angreifen, ein
kleiner weisser tiger mit dem ich mich kabbele und der film reisst im kino
stille weicht raunen, unerwartetes beeindruckt, EINE LANDMINE er führt mich
da war auch nichts dabei: der zug hielt an und fuhr nicht mehr weiter.
irgendwie war man dann da drin, nicht? das kann immer mal passieren: der zug
hält an und.. fährt nicht mehr weiter.

WE ARE SORRY; THERE IS WAR OUTSIDE; FIGHTING; THIS TRAIN CAN NOT GO ON
PLEASE LEAVE IMMEDEATLY.

was das so? habe ich englisch sprechen können, mit fünf sechs oder vier ich
kann mich nicht erinnern wann oder wo das war. schwer einzuschätzen
(ob ich in meinem drang mich auszudrücken eher for- oder demoliere.
dieses gewaltpotential dass zu einer art kreativer energie wird ich habe
angst es einzubüssen wenn ich mich nur mal damit auseinandersetze also eine
so mächtige und beeindruckende besonderheit zu verlieren nicht mehr vielgesp
alten zu sein dann farblos und unwahrnehmbar bis ich verschwinde dass das
prisma, welches mich zerreisst notwendig sei, zum erhalt meiner selbst.)

shuya
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Re: verdrängung

Beitragvon shuya » 14.11.2010, 23:20

die nahtstelle gottes, im universum hier zwischen haaren im wind
muss doch irgendwo etwas aufzureissen sein, diese betördenden speichel
fäden zwischen ihren zähnen, der offene mund so wenig angriffsfläche
irgendwo muss da doch nocht etwas sein.
irgendwo da muss doch
die nahtstelle des universums die zwischen herbstblättern muss doch
eine lösung damit alles fällt im detail der wand rauhfaser ein beständig
es suchen einer damit ich endl ich
die nahtstelle göttlichen wirkens da muss doch irgendwo
etwas sein eine wo ich meine hände reinbrechen und das alles
die nahtstelle göttlichen wirkens im universum überall muss der
zugenähte nabel die narbe göttlichen schaffens wo alles eine nährlösung
irgendein dogma die antwort muss doch etwas sein dass ich

ich muss dir doch irgendwie helfen.

shuya
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Re: verdrängung

Beitragvon shuya » 14.11.2010, 23:31

jeder soldat hat eine mutter
nachdem er starb schrieb ich oliver
ein lied von den zurückgebliebenen
von den kleinen mädchen die er vergewaltigt hat
ihre verzweifelten münder immer wieder ihre veehrung beteuernd
mein verliebter hass diese stillgeschwiegene
als sei das gleis schon zu ende gedacht
griff der krebs nach seinem herz
das durstig nach worten
die nächte durchtrank
ein lied schrieb ich
von seiner frau, die so gefasst das loft betrat
im herzen der stadt, weit weg von ihrer gemeinsamen wohnung
die glatten wände
das klavier das eine letzte melodie
vom lied der zurückgebliebenen
kinder die nun ohne ihren vater
und kinder die nun ohne ihre unschuld
hat er durstig nach worten
acht hektoliter sperma in der welt verteilt
und borghes kryptische briefe geschrieben
in der essenz aller worte, einer sprache die nur noch so wenige
nun noch weniger wo borghes und
er
ein krebs der nach seinem herz
alles aus ihm heraus bis er schrieb
es seien noch lieder zu singen
es sind noch lieder zu singen
vom leben der zurückgebliebenen
den tausend geschichten die sich alle nicht decken
den bebenden mündern, dem vorrecht darauf im recht zu sein
eine wahrheit zu erben
von diesem mann dessen herz
so leergesaugt von diesem großen kopf
ich stimme ein in eure müdigkeit
meine hände zittern unablässig
wir malen die teufel auf alle wände die wir finden können
bis der spiegel uns endlich recht gibt
ein verlag uns die hände versichert
und die zunge
reich beladen ein kreuzwort
unsere tafelrunde, die bar an jeder ecke
es sind noch lieder zu singen
vom leben der zurückgebliebenen
dass meine freundin mich verliess vor lauter trauer, als deine haare
ausfielen, auch sie hast du genommen mit deinen weltbildbestätigungstricks
war sie gerade einmal vierzehn, hat sie mich verlassen vor lauter trauer
lebt nun bei ihrem gletscherforscher, ihre fingernägel in seinem rücken
PACK MEINE BRÜSTE HÄRTER AN, TU MIR WEH
dass alles so tief vergraben irgendwo plötzlich wieder losbluten musste
und wir so zwangsgemäß in diese ambivalenz gezwungen wurden, du und ich
dass ich versuchte dich zu sezieren, als den letzten den ich sezieren würde und
so wertend und beleidigend aus purer angst, dass alles so weh tat
als zurückgebliebene
mit diesem schmerz der an so vielen orten durch deine schamlosen berührungen
jetzt tot gelebt wird.
zeilt heilt keine wunden, hat sie nie.
das ist harte arbeit.

es sind noch lieder zu singen.

shuya
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Re: verdrängung

Beitragvon shuya » 14.11.2010, 23:36

reproduction
is selfdefinition
is construction of movement
and therefor change
which itself determines life
and death

manchmal etwas pathetisch
oder marktschreierisch
oder polemisch
oder zu ausführlich
meine sich auf die welt

vielleicht ist das binäre prinzip auch zu verwerfen
glaube allerdings sehr stark
an das puristische in der vielfalt
dass aus dem einfachsten prinzip
nämlich die größtmögliche anzahl objekte entstehen kann
das vielarmigste gedicht, eine umklammerung die einen nicht mehr
loslässt bis zu symbiose.

alles was nicht räumlich ist kann nicht besessen werden
information also muss nicht enteignet sondern kann direkt einfach angeeignet
werden.
das gitternetz
oder lattenrost
eine wiege
vollschwanger mit müdigkeit

eine mammuthjagd nach diesem ding
nein alles
der humbug zwingt mich lachen
ein wort meiner mutter humbug

früher als kind dachte ich, wenn man alt wird wachsen einem tattoos auf dem
rücken.

jagd nach worten, in der nacht.

kein zusammenhang

wege sind für mich gibt es keine wege.
jeder schritt ist ein vollendetes werk
keine strecken nur ein
punkt punkt komma wort

shuya
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Re: verdrängung

Beitragvon shuya » 14.11.2010, 23:41

forlein nennt sie sich nämlich
die frau der burgouise
habe ich nicht gelernt kontra oder
zeitwehen
in worte zu fassen
diese dumpfe schwangerschaft
ganz latent nur angedeutet

ein style fürs leben, ein 'hierbei bleibe ich'
so will ich sein wenn meine kinder mich fragen ob
irgendetwas in der richtung

alles, jeder moment beinhaltet das verdrängen von möglichkeiten
aus dem eigenen sichtfeld
bedingt aus erwartung und erlebten
schalldämpfer erinnerung.

shuya
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Re: verdrängung

Beitragvon shuya » 14.11.2010, 23:47

konvexkonkav aesthethick die kampfansage synergie,
komplexwirkung ein starres blickpunktverknoten der
fluchtpunktkomposition.
fallbeispiel blutsturz, overlay & underfuck

arbeit unter der sonne fast bizarr noch von richtung
zu sprechen in diesem kontext
der nämliche wartesaal LEBEN ein all zu gemeinsames
für sich sein.

malen nach zahlen
oder die zenmeditation mit mandala
einmal einen bonsai für die ruhe
oder zumindest pillenverseuchte nächte
einen raum für jeden tag, ein gefasster
umzugskarton.

"das war ein scheiss krieg da draussen alter
und ich komm nachhause, total am arsch, schalt die glotze
an und seh mich in den nachrichten wie ich ein auto anzünde
aber das problem ist doch: die sind ja alle versichert.
das ging ja keinen mehr so wirklich was an.
es gibt sowas wie echte betroffenheit gar nicht mehr."
- joe black

shuya
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Re: verdrängung

Beitragvon shuya » 14.11.2010, 23:57

"it all catches up on you when you slow down"

mein trippelschritt
stakkkkato
die zerwürfnisse & anwendungsbereiche
'outrace the speed of pain'
schmelztiegel ERINNERUNG
die konzentration meiner worte
fühle mich ausgeschlachtet in der letzten
zeile
alles kommt zurück
vom trip in die entropie
und jedes zerbrochene glas wird wieder zusammenwachsen
zusammen wachsen,
das hat uns geprägt,
die ähnlichkeit in der wahl der gedanken und im
fehlen von persönlichkeiten,
genüsslich haben wir pfirsiche gestohlen in einem sommersterben
haben wir die blätter und dornen von unserer kleidung gerupft
uns zierlich zu betten, im angenehmen erschöpfen aller kräfte
verlägen wir uns da
hätten wir
täte das hier jetzt wohl mehr weh
nicht wahr?
(kein leben geht zu weit)

ich glaube daran, alles was uns ausmacht kann nur sterben sein
fehlt uns doch der raum für entwirrung
kenne ich mich auch nicht besser als du selbst mich nennst bei namen
oder dankbarkeit, kosewörter

alles führt zurück auf den widerstand
gedankenvenen
wie strom zu lindern
das herausnehmen aller widerstände aus der platine ästhetik
das denken endgültig aufzugeben
das ich nicht als eine wunde sehen
sondern als chance begreifen
wäre das auflösen
aller struktur
lass uns chaos gewähren
den zusammenhang der koordinate entheben
hiesse nie wieder angst davor, auseinander zu fallen
sinn ergibt sich nie forciert
beständigkeit ist keine regel

alles löst sich auf.

shuya
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Re: verdrängung

Beitragvon shuya » 15.11.2010, 00:02

sooooooooo HG,
jetzt hab ich möglichst vielfältig rausgetippt,
irgendwo in dem rahmen bewegt sich das meiste.

alles ist erinnert, schachteln und verknüpfungen die mein erinnerungsvermögen gewebt hat.
es gibt keine korrekturen, höchstens überlappende sätze oder wörter
es gibt keine absetzen, kein nachdenken, höchstens ein zug an der zigarette, ein sippen an der teetasse.

auf meinung und viel kritik bin ich gespannt.

hginsomnia
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Re: verdrängung

Beitragvon hginsomnia » 15.11.2010, 08:14

sooooo,

ich habe ja danach verlangt und jetzt liegt schon ein ganz schön großes Stück Text vor. Ich bin wohl nicht der Erste, der dir eine hohe assoziative Sprachkompetenz attestiert. Ich hab's jetzt erstmal überflogen- Im Eingang fühle ich mich bisweilen an Bernhard erinnert. Ich glaube, ich werde hier viel Schönes vorfinden und eventuell das Bedürfnis verspüren, hier und da das Ganze etwas zu straffen.
Das kann ich freilich noch nicht wirklich sagen. Es sind nur Vermutungen.

Also, ich werde mich, mit der wohl verständlichen Bitte um etwas Zeit, mit dem Text auseinandersetzen, weil ich Bock drauf habe und weil ich davon ausgehen kann, dass du dich wieder meldest ;-) .

Und jetzt muss ich los !

lg
hginsomnia

shuya
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Re: verdrängung

Beitragvon shuya » 17.11.2010, 01:08

hginsomnia hat geschrieben:Also, ich werde mich, mit der wohl verständlichen Bitte um etwas Zeit, mit dem Text auseinandersetzen, weil ich Bock drauf habe und weil ich davon ausgehen kann, dass du dich wieder meldest ;-)


werde ich :)

hginsomnia
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Re: verdrängung

Beitragvon hginsomnia » 02.12.2010, 13:00

Hallo shuya,

ich fange mal basierend auf den recht flüchtig hingekritzelten Notizen, die ich mir dazu gemacht habe, einfach an.

--------------------------------------------------------------------------------------------------------------

1. Textauszug


shuya hat geschrieben:der gedanke der mir, lichterloh brennend oder strahlen, lichtsiebe
dass mir kindheit entgegen, die brandung / keiner funktion mehr
bedacht, mit / nichts belehrendes, kein fingerzeig der mutter oder
die weihnachtsgeschenke so offensichtlich auf dem wandschrank versteckt
ein ungeniertes spiel mit meiner neugier, dass mir selbige verleidete
fand ich viel später erst heraus. ich habe erinnerungen an das reh in meiner
küche, fast vergraben, wie es hilflos, in ewige überraschung gefroren
mich anstiert als solle ich es retten vor meinem fleischer von papa
seine messer sind immer scharf, er teilt knochen und gewebe und auf den
brettern, für fleisch die, dass ich allabendlich essen sollte, manchmal fand
ich, er heilte dann los an mir vorbei ins bad, ein stück finger dort, neben
den stolzen messern. ein stück finger vor dem abendessen.


Das fängt ja gleich mal syntaktisch recht quer an. Ich spiele mal ein wenig mit dem Eingang, ordne die Fragmente anders an. Vielleicht kannst du damit ja was anfangen.

"der gedanke, der mir licherloh brennend, - oder strahlen, lichtsiebe -
dass mir kindheit entgegen die brandung / keiner funktion mehr bedacht,
mit ... / nichts belehrendes, kein fingerzeig der mutter war; auch die
weihnachtsgeschenke so offensichtlich auf dem wandschrank versteckt
ein ungeniertes spiel mit meiner neugier, das sie mir später verleidete."

Das ist jetzt etwas geordneter bezüglich Syntax und Interpunktion.
Danach folgt, wie ich finde, ein tolles Bild. Ich bastel etwas weiter:

"imeine erinnerungen an das reh in unserer [wegen familienporträt] küche ...,
fast vergraben, wie es hilflos, in ewige überraschung geforen
mich anstiert [mir gefällt der begriff überhaupt nicht - rein persönlicher Geschmack - wenn du willst einfach "betrachtet" oder "fokussiert" oder " ins Auge fasst"]
[gleiche zeile] als sollte ich es retten vor meinem fleischer von papa.
seine messer sind immer scharf. er teilt knochen und gewebe und auf
den brettern für fleisch, das ich allabendlich essen sollte. manchmal
fand ich - er heilte dann los an mir vorbei ins bad [toll] - ein stück finger dort
neben den stolzen messern, ein stück finger vor dem abendessen."

nur zwischendurch: ich wähle bewusst die zeilenumbrüche und die interpunktion. ich habe kein komma vergessen oder zufällig hinzugefügt. das nur zum verständnis. ich finde es sehr gut, wie du hier über die alltägliche szene die brutalität schilderst, diese gleichsam antizipiert wird.

weiter:

shuya hat geschrieben:vadim hat sich um-
gebracht


Von der Gestaltung passt das, auch, dass es hier so isoliert steht. Inhaltlich fehlem mir natürlich einige Bezüge. Wenn du 'Amras' von Thomas Bernhard kennst (wenn nicht, empfehle ich es), weißt du vielleicht, was ich meine, wenn ich sage, dies hier könnte der Anfang oder Teil von Etwas sein.

shuya hat geschrieben:die pistole, welche er auf fotos immer so stolz in die kamera zeigte,
meine zitternden hände, dass seine liebe zu mir ihn überwältigen könnte
und er abdrückt, kam mir oft. dieses mädchen, ich habe ihren namen irgendwo
aufgeschrieben habe ich, sie schlief mit ihm, ist aber auch tot mittlerweile.
alles in allem bleibt nicht mehr viel von ihnen übrig ausser ein paar anekdoten
von bukowski und kerouac, die ich in sentimentalen barkbankbesäufnissen
vor mir herschiebe, wie unerledigte aufgaben. glaube ich fest an das was
ich mich selbst nenne, eine identifikation von mir weg zur marke hin einem
sozialisierten branding. meine angst vor gegenwärtigkeit
das profil zu verlieren
ich mache mich - extern - zu einem gemüse
oder woher rührt dieser mangel an dramatik, den ich in der gegenwart verspüre
dass alles auf gerade einmal die nötigsten emotionen reduziert und im vergleich
zu einem kinobesuch so ausgekühlt wirkt. in meiner wohnung zieht es,
ich zünde mir eine zigarette an um den winter zu vertreiben, ein gängiges ritual
welches ich so selbstverständlich betreibe, dass ich es fast schon gar nicht
mehr wahrnehme. dass mir auch alles so unbeholfen aus dem mund fallen muss
dieses rinnsal an worten, so sorgsam zurückgekämpft, nie oder nein, selten
aber sorgfältig ausfomuliert. wie ermüdend ich auf mich wirke, mit diesem
verquerulantem selbstbild von weltschmerz auf dem rücken.
mein herz hat ein leck und es rinnen wahllos teilhaftigkeiten oder halbwahr-
heiten in meinen magen. klavki sagte, bevor er starb sagte oliver,
mein geist ist ein magen.
tropfen welche ich in ihre bestandteile seziere, neurotisch oder euphorisch
auf der suche nach einer weltformel, die mir das alles erklärt, wie man
die konstruktion fallen lässt, nicht irgendwie sondern einfach ist, bis man
keine festen eigenschaften mehr hat, nur gegenwärtige und dass alles nur jetzt
passiert. weil ich vor jahren eine tür, eine echt, öffnete und der geruch
von verbranntem menschenfleisch wieder da war und alles tagelang so latent
danach roch, dass ich nichts mehr essen konnte ohne zu kotzen oder laura
die sagte, ich liebe dich, das heisst ich liebe dich und nicht ich will dich
dass mir das alles so scheisse nah ging, dass ich aus reflex schon wie betäubt
war. ich erinnere mich an einen keller im krieg und dass der krieg öffnungs
zeiten hatte und um achtzehn uhr war die straße leer und die schweine kamen
überall waren da schweine, und in deutschland tauben überall, dunkel und hell
irgendetwas mit einer melone war da noch und affen die mich angreifen, ein
kleiner weisser tiger mit dem ich mich kabbele und der film reisst im kino
stille weicht raunen, unerwartetes beeindruckt, EINE LANDMINE er führt mich
da war auch nichts dabei: der zug hielt an und fuhr nicht mehr weiter.
irgendwie war man dann da drin, nicht? das kann immer mal passieren: der zug
hält an und.. fährt nicht mehr weiter.


Hier wird es dann doch etwas spezifiziert, der Vadim und die Erinnerungen an ihn, ohne in allerdings über das eigene Bewusstsein hinaus (das des Ich-Erzählers) zu charakterisieren. Wieder etwas basteln:

"die pistole, welche er auf fotos immer so stolz in die kamera zeigte,
meine zitternden hände, dass seine liebe zu mir ihn überwältigen könnte
und er abdrückt, kamen mir oft, auch dieses mädchen - ich habe ihren namen
irgendwo aufgeschrieben-, das mit ihm schlief, aber auch tot ist
mittlerweile. alles in allem bleibt nicht viel von ihnen übrig
außer ein paar anekdoten von bukowski und kerouac,
die ich in sentimentalen [gefällt mir nicht, würde ich einfach streichen] parkbankbesäufnissen
[gleiche zeile] vor mir herschiebe wie unerledigte aufgaben"

jetzt kommt ein teil, den ich streichen würde:

"glaube ich fest ... zu verlieren"

das ist mir zuviel an reflexion, zuviel an innerem input. mir verlässt das hier zu stark die gestaltungsebene. ich würde erst wieder hier einsteigen.

"unerledigte aufgaben
wie ein gemüse, zu dem ich mich extern mache. da ist ein mangel
an gegenwärtiger dramatik, [wieder aus oben genannten gründen gekürzt]
[gleiche zeile] gespürt. in meiner wohnung zieht es.
eine zigarette soll den winter vertreiben, zum beispiel, auch nur eines
der rituale. [wieder etwas vom ich weg. und das rauchen als teilaspekt gekennzeichnet. etwas banales als pars pro toto. daher das "zum beispiel", das ich hier eingefügt habe. dann wieder stark gekürzt. gleiche gründe ;-) .]
[gleiche zeile] mein herz ist ein leck und es rinnen wahllos teilhaftigkeitein oder halbwahr-
heiten in meinen magen, und [wieder bewusst] klavski sagte, bevor er starb sagte oliver,
"mein geist ist mein magen." tropfen,
welche ich in ihre bestandteile seziere auf der suche nach einer formel,
die mir erklärt, wie man die konstruktion fallen lässt,
bis man keine festen eigenschaften mehr hat, nur gegenwärtige und
bis alles nur jetzt passiert, [ich brauche wohl nicht immer drauf aufmerksam machen. du siehst ja, wo ich gekürzt habe]
[gleiche zeile] weil ich vor jahren eine tür, eine echte, öffnete und der geruch [jetzt kommt die für mich großartigste wendung. wieder gehts vom alltäglichen ins abscheuliche, vom kleinen ins ganze, ein ganzes der vergangenheit, dass die gegenwart des ich-erzählers überschattet.]
von verbranntem menschenfleisch wieder da war, und alles tagelang so latent [vielleicht "penetrant"]
danach roch, dass ich nichts mehr essen konnte, ohne zu kotzen oder laura,
die sagte, "ich liebe dich", was nicht heißt "ich will dich",
nachdem mir das alles so nah ging, dass meine reflexe
mich betäubten. ich erinnere einen keller im krieg und dass der krieg öffnungs
zeiten hatte [großartig], und um achtzehn uhr die straße leer war, und die schweine kamen.
überall waren da schweine und in deutschland tauben überall, dunkel und hell.
irgendetwas mit einer melone war da noch und mit affen, die mich angreifen,
einem kleinen, weißen tiger, mit dem ich mich kabbele [gefällt mir auch irgend wie nicht, vielleicht: "mit dem ich raufe"]
[gleiche zeile] , einem film, der im kino reißt.
stille weicht raunen. unerwartetes beeindruckt. [ich kann mich noch nicht entscheiden, aber ich glaube, präsens ist hier passend]
[gleiche zeile] EINE LANDMINE ... er führt mich,
da war auch nichts dabei: mein zug hielt an und fuhr nicht mehr weiter.
irgendwie war man dann da drin, nicht? das kann immer mal passieren:
der zug hält an und ... fährt nicht mehr weiter."

ich finde, das wäre ein sehr guter schluss. zum folgenden:

shuya hat geschrieben:WE ARE SORRY; THERE IS WAR OUTSIDE; FIGHTING; THIS TRAIN CAN NOT GO ON
PLEASE LEAVE IMMEDEATLY.

was das so? habe ich englisch sprechen können, mit fünf sechs oder vier ich
kann mich nicht erinnern wann oder wo das war. schwer einzuschätzen
(ob ich in meinem drang mich auszudrücken eher for- oder demoliere.
dieses gewaltpotential dass zu einer art kreativer energie wird ich habe
angst es einzubüssen wenn ich mich nur mal damit auseinandersetze also eine
so mächtige und beeindruckende besonderheit zu verlieren nicht mehr vielgesp
alten zu sein dann farblos und unwahrnehmbar bis ich verschwinde dass das
prisma, welches mich zerreisst notwendig sei, zum erhalt meiner selbst.)


um ehrlich zu sein, verstehe ich nicht, warum hier plötzlich englisch angezeigt wird. ich muss mir hier eine geschichte basteln, mir einen flüchtling aus deutschland nach amerika beispielsweise vorstellen. ich würde das wohl eher weglassen. ich glaube, der offene schluss vorher lässt den text gewinnen, weil er unterschiedliche assoziationen auslöst. der abschließenden reflexion bedarf es nicht unbedingt, glaube ich.

--------------------------------------------------------------------------------------------------------------

soweit erstmal. demnächst mehr.

das noch: diesen auszug finde ich zusammen mit nr. 3 am stärksten. besonders begeistert mich hier die verknüpfung von alltag mit außeralltag, von vertrautem mit grausamkeit.

lg
hginsomnia

shuya
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Re: verdrängung

Beitragvon shuya » 03.12.2010, 13:19

erstmal danke für die ausführliche auseinandersetzung.
ich hab grad noch nicht viel zeit und will nur kurz auf den schluss eingehen:
da es sich hier um erinnerungen, verzerrt, verdrängt, neu aufgeschwemmt, erzählt, vermischt handelt
ist auch der englische teil untrennbar.

es handelt sich um ein bürgerkriegsszenario in indien.
der zug blieb stehen, eine indische und eine englische durchsage informierte uns darüber, dass in den nächsten wochen
kein verkehr mehr statt finden würde
und alle auszusteigen haben - so in etwa.
die frage ob ich den wortlaut noch kenne, erübrigt sich, aber stelle ich mir trotzdem - immerhin sprach ich kein englisch (nicht gut zumindest).

der rest darunter (alles ist ja ursprünglich schreibmaschine) ist klein auf dem kopf geschrieben, ist also getrennt vom text (wie eine annotation).

shuya
Prometheus
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Re: verdrängung

Beitragvon shuya » 09.12.2010, 02:13

so einen gedanken weiter denken.
vielleicht hast du recht
bzgl des textendes
ich glaube ich brauche noch ein wenig zeit, mich weit genug von der idee einer autobiographischen auseinandersetzung mit dem thema
zu entfernen.
also einem leser überhaupt einen raum, einen platz in der ganzen geschichte zu lassen.

das gestaltet sich m.E. immer am kompliziertesten, die enden lose zu lassen und trotzdem eine bündige geschichte abzuliefern
zeitgleich aufzuhören mir selbst an dieser stelle rechenschaft zu tragen - mir gerecht werden zu müssen oder von recht überhaupt auszugehen.

ich glaube ich werde bei zeit eine zweite version
von jedem text aufsetzen ohne die alte zu verwerfen
um das nicht mehr nur für mich funktionieren zu lassen.
aber auch für mich.


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