zenit

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Hugo Homunkulus
Minotauros
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zenit

Beitragvon Hugo Homunkulus » 07.04.2009, 22:51

zenit

ich gehe durch die botanik. angefressene blätter recken sich mir entgegen. es wimmelt. wo ich auch hintrete, weicht scheu und widerwillig etwas lebendiges. ich habe das bedürfnis, nicht hier zu sein.

das unterholz gibt knackend nach. tierische schreie und andere geräusche, die ich nicht zu unterscheiden vermag, dringen von überall her.

mir begegnet ein heruntergekommener mensch. ich frage ihn nach der uhrzeit. er geht vorbei, ohne mich zu bemerken. ich glaube, ich kannte ihn.

eine schlange fällt herab und verschwindet im dickicht. und mit einem mal ist es ganz still. kein tier, das mehr zu hören ist. nur das knarren der äste über mir. obgleich erholsam, beunruhigt mich die unerwartet eingetretene lautlosigkeit. es kann nicht richtig sein.

die sonne bricht durch die gierigen baumkronen und äste – und stürzt nicht weit entfernt ins unterholz, das gleich darauf in flammen aufgeht. sie ist nur noch ein brodelnder klumpen und sonneflecken platzen wie eitrige blasen auf ihrer oberfläche.

der himmel ist schwarz. ich gehe weiter, während hinter mir die ersten bäume vom feuer erklommen werden.

ein gewitter entlädt sich. kleine rinnsale säuerlichen regens rinnen über mein gesicht. nasse strähnen kleben auf meiner stirn. mir ist kalt.

die photosynthese ist bedeutungslos geworden und retortendinos streifen durch die gegend. wenn ein blitz zuckt, kann ich ahnen, wo sie lauern. das magnetfeld der entladung schließt einige mikrochips kurz, die sich wie mehrbeinige, epileptische käfer im laub verkrochen haben. glasfasern ringeln sich wie schlingpflanzen durch die zweige.

das letzte große unternehmen: die verkabelung des waldes. jetzt muss ich aus seiner finsternis ein überlegenes gelächter vernehmen. kein grund stehen zu bleiben.
Mit seltsamen Gebärden
Gibt man sich viele Pein,
Kein Mensch will etwas werden,
Ein Jeder will schon was sein.

(Johann Wolfgang von Goethe)

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