Der Tod der Kritikerin - Malizinös 5. Teil

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Pentzw
Pegasos
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Der Tod der Kritikerin - Malizinös 5. Teil

Beitragvon Pentzw » 16.11.2011, 16:49

Am nächsten Montag versammelte man sich wieder im Teamsitzungs-Zimmer. Auf den Gesichtern stand zufriedenes Lächeln, aus den Augen strahlte Gewissheit. Man plapperte rege durcheinander.
„Wie eine Schulklasse vor den Ferien. Was erheitert eure Gemüter so, Kollegen!“, eröffnete der Kommissar die Sitzung.
Heute brauchte der Kommissar nicht lange zu warten, bis man auf ihn einging. Ein paar fielen sich sogar ins Wort, weil jeder antworten und seine Freude kundtun wollte.
„Sehen Sie Chef, wir sind halt alle einer Meinung, worüber wir uns freuen“, setzte sich schließlich Meier-Wilhelm-Kaiser durch.
„Und welcher?“.
„Nun, wir sind uns hundertprozentig sicher, dass diese Müller-Wilhelmine-Huber-Wilhelmine nur eines tragischen Todes ende konnte!“
Alle grienten wie die Weckfresser.
Dem Kommissar nervte das, knurrte etwas missmutig.
„Sie kann nur Selbstmord begangen haben!“, Meier-Wilhelm-Kaiser erleichtert noch mal. „Nun Chef, sie hat so schlechte Kritiken geschrieben, lag derartig oft daneben, kurzum kultivierte einen solcherart schlechten Geschmack, dass sie nur zwei Möglichkeiten hatte: entweder sie legte die Feder für immer weg oder unterstrich ihre Haltung damit, dass sie in den Tod ging.“ Und er keckerte weiter: „Höchstwahrscheinlich zog sie schlussendlich die vernünftigste Konsequenz: Exitus!“
„Quiek!“, war zu hören, unterstrichen durch die Geste Handkante quer über die Kehle gefahren.
Der Kommissar konnte es einen Moment nicht fassen und griff nach einem Schluck Mineralwasser.
Alle strahlten freudig vor sich hin. Der Fall löste sich ja schneller als gedacht.
Der Kommissar schaute jetzt müde und mitleidig seine Pennäler an, wiederholte die Worte: „Frau Wilhelmine kann sich nur umgebracht haben, so so.“
„Ja, ja!“, antwortete der Chor. Einige verstummten.
Der Kommissar setzte nach: „Und, worauf gründet sich Ihre Sicherheit, meine Herren Ermittler?“
Alle Schriftsteller haben einhellig die schlechte Qualität der Kritikerin bestätigt.
„Alle!“, wiederholte der Chef.
Schweigen.
Es dämmerte dem ein oder anderen irgend etwas Unbestimmbares.
Aber was hatte nur der Chef?
Der Kommissar meinte, aber deutlich ironisch: „Ich würde es so formulieren. Deshalb wohl muss sich Frau Wilhelmine umgebracht haben, oder noch besser müsste sich den Todesstoß versetzt haben, wenn sie ein bisschen bei klarem Verstand gewesen wäre...“
Die Kollegen schauten mit einmal wie sieben Tage Regenwetter drein.
„..sagen die Herren und Damen Schriftsteller!“
Ein Beil schien zu fallen.
Es war doch eigentlich klar wie Kloßbrühe, Mensch, was war mit dem Boss los? Traute er wohl nicht dem Geschmack der Schriftsteller? Dabei waren es ausnahmslos alle. Können sich so viele getäuscht haben?
?
„Leute, überlegt doch mal. Wenn Frau Wilhelmine eine derartig verbohrte, verbiesterte, schlechte Kritikerin war, wie die Sensibelchen Schriftsteller steif und fest behaupten, dann müsst ihr euch fragen: Wie hoch kann man die Selbsteinschätzung dieser Menschen veranschlagen.?“
Damit stoppte er, murmelte irgendetwas, bestimmt wieder etwas von wegen methodisch-kritische Herangehensweise und fuhr fort: „Also halt, wie wahrscheinlich ist es, dass diese sich selbst richtig einschätzen?“
„Ja, so gesehen... Aber die muss doch...Sofern sie einen kleinen Funken Verstand hat...“, wurde zwar weiter gemault. Schließlich brachte es endlich einer auf den Punkt: „Aber natürlich. Solche Leute sind unzerstörbar egozentrisch, nahezu psychopathisch von ihrem Schreiben überzeugt. Da bricht keine noch so leise Kritik durch, bei denen.“
Ja, jetzt fiel es so manchem wie Schuppen von den Augen, was so offensichtlich auf der Hand lag.
Schlecht für einen Profi, wie sie sich einschätzten, sich so zu täuschen.
„Und außerdem!“ Der Kommissar atmete jetzt schwer durch.
„Versetzt Euch einmal in diese Kritikerin, in einen Kritiker oder Kritiker überhaupt? Begehen solche Personen Selbstmord, die nichts anderes tun, als andere Menschen, Kreative zudem, herunterzusetzen, zu piesacken und zu verprellen, wie und wo es nur geht? Selbstmord – ha!“
Müller Westernhaben ergänzte: „Solche doch nicht!“
Als wäre eine Bombe geplatzt, saßen die Profis mit eingefahrenen, geduckten Köpfen in ihren Stühlen.
„Seht ihr’s. - Da war wohl der Wunsch der Vater des Gedankens“, und der Boss lächelte malizinös.
Trotz dieser stümperhaften Blamage fielen seine Kollegen allmählich auch ein zu lächeln, ja sogar zu lachen, bis sich genauso langsam und sukzessive die Mienen wieder verfinsterten, weil jedem klar wurde, was das bedeutete: angesichts der unmöglich übersehbaren Feinde dieser unnachgiebigen Kritikerin glich die Suche nach dem Täter die nach der berüchtigten Nadel im Heuhaufen.
Wieder waren sie am Anfang angelangt und nüchtern betrachtet keinen Schritt weitergekommen.
Das konnte ja noch etwas werden.

Einer, Meier-Wilhelm-Kaiser, muckte wohl wieder wegen des unübersehbaren Berges von Arbeit auf: „Aber, kann denn so eine Person derartig hartnäckig sein? Was hat sie davon? Wahrscheinlich doch nur Ärger. Ich verstehe das gar nicht.“ Ein etwas weinerlicher Ton mischte sich da hinein, als ob der Kollege so viel produziertes Schreibmaterial als niederträchtigen Angriff auf ihn persönlich wahrnahm.
„Ja, Meier-Wilhelm-Kaiser, du bist genau auf der richtigen Spur, der Warum-Spur?“, lachte der Kommissar unverdrossen.
Alle Köpfe wandten sich dem Meister zu, der fortfuhr zu erzählen, so dass sich die Augen seiner Schüler weideten, die Ohren spitzten und die Lippen nach unten klappten vor Erstaunen: ihr Boss hatte sich auch einmal als Schriftsteller versucht – was sie aber schon längst wussten, wie wir wissen.
„Heute ist mir das ja ein bisschen peinlich, dass ich ernsthaft geglaubt habe, ich müsse Schriftsteller werden. Aber na ja, ich subsumiere das unter Wirren und Irren der Jugend.“
Er räusperte sich und fasste zusammen: „Ja, das war vor meiner Zeit als Kommissar, versteht sich.“
Alle lachten dazu und entspannten sich wieder. Es war wirklich wie in der Schule, in der sich die Schüler freuten, wenn der Lehrer ihnen eine Geschichte vorlas, bevor sie sich mit Matheaufgaben herumschlagen mussten. Natürlich hatten sie diesen Schwank aus des Kommissars Leben schon zig-Mal gehört, aber es war immer wieder schön, der sonoren Stimme desselben zu lauschen, während man in Gedanken woanders weilte, bei der Familie, beim kaputten zu reparierendem Rohr oder beim Krimi letzten Abend.
„Aber, wie war das dann?“, hakte Meier-Wilhelm-Kaiser ein, um den Kommissar dazu zu bringen, endlich seine Eskapade als Schriftsteller zum Besten zu geben. Einige, die wussten, was jetzt kommen würde, legten sich bereits bequem in ihre Sitzgelegenheit zurück.
„Na, bin sogar so weit gekommen, ein Buch von mir gedruckt zu sehen.“
Erstaunen tat sich kund: „Seht, seht!“ „Wenn auch nur im Selbstverlag.“ Der Ton senkte sich zu langgezogenen „Ahs“. Anfänglich, das war Routine, mussten man den Erzähler nur ein bisschen anstoßen, dann würde er schon von alleine loslegen und nicht mehr merken, wo und weshalb er hier war. Das war ein Selbstläufer par excellence, diese Geschichte. Selbst das Ende wusste sie schon in- und auswendig.
„Nun, egal. Buch ist Buch. Dieses Buch wollte ich schließlich meinem ehemaligen Deutschlehrer vorlegen, bestimmt mit der Nebenabsicht, eine kleine konstruktive Kritik zu erhalten, die mir weiterhelfen würde. Aber noch viel mehr war es mir deshalb ein Bedürfnis, diesem Lehrer mein Buch unter die Nase zu reiben, weil er mir doch in der Schule immer eine fünf, bestenfalls eine vier im Aufsatz gegeben hatte, was mich stets wahnsinnig gewurmt hat. Einmal sogar, ich sehe es vor mir, erhielt ich mittelmäßig, äh, eine befriedigend heißt das wohl im Schuldeutsch. Das war der Tag, an dem ich mich das erste Mal in meinem Leben betrank – vor Freude“, und lachte dazu.
Alle lachten mit und sanken noch tiefer in ihre Sesseln. Einer döste sogar vor sich hin. Um das Schnarchgeräusch zu unterbinden, schlug ihm ein Kollege mit dem Ellenbogen in die Seite. „Was, was“, stammelte er zuerst, unterdrückte aber sofort wieder jeden Laut, ganz professionell.
„Nun wollte ich es also wissen, der ungerechte Lehrer sollte Stellung beziehen zu seinem schlechten Deutschschüler, der es zu einem publizierten Autoren geworden war. Ich wollte ihm dazu das Buch eigenhändig überreichen, um sein schiefes Lächeln auf den Lippen zu sehen, sein Sich-Winden von wegen Nun-wer-hätte-das-gedacht oder sonst irgend eine verlegene Phrase in dieser Richtung. Aber denkste: Weiter als bis zum Briefkasten bin ich nicht gekommen. Sein Haus war umfriedet mit einer Mauer und allem Pipapo wie die in Berlin, wenn ihr euch noch daran erinnern könnt. Ich musste mich damit begnügen, mein Buch in seinen Briefkasten zu werfen und auf eine Antwort hoffen. Na, er schrieb mir auch eine kurze Replik.“
Jetzt wusste jeder, dass der ultimative Clou, die überwältigenste Pointe für Beamte überhaupt kommen würde, welches das schallendste Gelächter zur Folge haben würde. Wie blöd sich der Lehrer benommen hatte da zum Schluss, ein Verhalten, dass sich keiner dieser Staatsdiener hier vorstellen konnte, alles andere und nur das Gegenteil.
„Und nun, meine Herren“, dabei schaute der Kommissar eindringlich in die Gesichter seiner Mitarbeiter, „lasst euch das zur Lehre sein im Bezug zu unserem Fall. Es führt uns nämlich anschaulich vor Augen, aus welchem Holz richtige Beamte geschnitzt sein sollten... Der Lehrer schrieb, schon längst aus dem Schuldienst geschieden, folgendes...“
Während der Erzähler tief, sehr tief Atem holte, lachten sich die Zuhörer einen: Ha, ha, wenn man einmal in Pension ist, dann konnte einem der Staat aber kreuzweise, von wegen Immer-im-Dienst und dieses ganze restriktive Beamtenkorsett. Nein, mit 66 fing das Leben erst richtig an!
„...meine pädagogische Pflicht verbietet es mir, ein Urteil darüber zu fällen“, und nun kam’s, denn der Kommissar fügte überflüssiger Weise noch hinzu, als ob sie völlig hirnverbrannt wären und sich nicht selbst die Schlüsse aus den Fingern saugen könnten: „Das lasst euch zur Lehre gereichen, meinen Herren und Damen!“
Das Lachen erfror ihnen jetzt im Gesicht und schier entsetztes Starren zeichnete sich darauf ab. Was war denn das heute, diese moralische Keule? So hatte der Chef noch niemals auf sie eingeschlagen. Ging er da nicht doch etwas zu weit? Sie waren doch keine kleinen Buben mehr, Pennäler und grüne Jungs.
Das musste man erst einmal verdauen.
Meier-Wilhelm-Kaiser fing sich als erster: „Sie meinen also, Boss.“ Jetzt betonte er jede einzelne Silber überdeutlich: „Wir soll-ten uns auch da-vor hü-ten, schnell Schlü-sse zu zie-hen?“
Der Kommissar grinste grimmig: „Sie haben es erfasst! Los!“ und beugte sich arbeitswütig auf seine Unterlagen vor sich auf dem Tisch.
Alle stürzten sich gleichfalls auf ihre Unterlagen auf dem ovalen Tisch.

http://pentzw.homepage.t-online.de/literatur.htm

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