Die Tote, Müller-Wilhelmine-Huber-Wilhelmine, lag in ihrer Badewanne, Kopf seitlich geneigt und aus der Stirn stak ein antiker Federstiel hervor, den jemand mit aller Kraft dahinein gestoßen und gebohrt hatte. Um den fein ziselierten Stift mit Gänsefederkiel hatte sich ein roter Flecken gebildet, mit viel Phantasie ein Kainsmal.
Anders als Rot war diese Flüssigkeit, die aus ihren Mundwinkel, gleichfalls angetrocknet, geronnen war: pechschwarz wie die Nacht. Um was es sich bei dieser dunklen Melange handelte, war zu erahnen: Tinte.
Im Badezimmer mit wundervollen alten Mosaikfliesen standen kleine Teelichter auf dem Boden, längst schon abgebrannt, nur eine unter Dutzenden anderer in den Ecken platzierten Kerze züngelte kümmerlich auf ihrem Ständer dahin, so dass das Edelbad in ein milchiges Licht getaucht war. Am Boden verstreut lagen verschiedenfarbene Rosen-, weiße Orchideen- und Magnolienblätter. Selbst das Wasser, in dem die Tote lag, trug Blüten, rote Rosen, gescheckt mit weißen Seerosen. Neben dem blütenweißen, ovalförmigen Badeei stand ein Kübel Wasser mit Sekt. Auf einem der Badewannenränder lag ein umgefallenes Sektglas. Um den Stil zu komplettieren verströmten zwei abgebrannte Räucherstäbchen einen lavendelartigen Duft.
Ein romantisch inszenierter Selbstmord?
Das einzige Misston war der penetrante Gestank aus dem Keller. Es roch kurzum nach Scheiße. Fünf Katzen liefen aufgeschreckt die Treppe hinunter, um sich zu verstecken. Diese hatten auch das Signal nach außen gegeben, weil sie in ihrem erbärmlichen Gejammere bis durch die Mauern gedrungen waren und schließlich die Feuerwehr alarmiert hatten.
Man konnte von Glück sprechen deswegen. Nicht auszudenken, was die Katzen in ihrem Hunger mit dem ohnehin leichenblassen Gesicht der Toten, die von krustigen Kratzspuren gestrichelt war, darüber hinaus gestaltet hätten? Später stellte man fest, auch der Körper wies schreckliche Schürfwunden auf. So aber blieb sie noch in einem normalen Rahmen, wenngleich sie vom starken Blutverlust käsig-weiß geworden, akzentuiert durch einen dicken karminrotem Strich auf den Lippen, derartig kontrastierte, dass man geneigt war zu meinen, dass es sich bei der Toten um einen Vampir handele. Das zerzauste hennafarbene Haar gab der fahlen Toten die allzu grelle Note.
Und ihre zerfetzten Kleider lagen verstreut im Wohnbereich, offenbar heruntergerissen, während sie auf dem Weg in ihren Todesgral war.
Hinweise auf einen Kampf, der stattgefunden hatte?
Überall herrschte gediegenes Holz vor: die Dielenbretter, die Verschläge an den Mauern und die rustikale Decke mit sichtbaren querverlaufenden Holzbalken; in der Mitte, als ob man eine Dachgebälk freigelegt hatte, breite Quer- und Schrägbalken, die damit den Wohn- und Schreibraum markierten und von einander trennten.
Inmitten dieses Raumes prangte ein übergroßer Kronlüster herab. Aus den Wänden ragte der ein oder andere elektrische Kerzenhalter, die den Raum in ein ungesundes, giftiges Gelb tauchten.
Hier und nicht in ihrem Schlafzimmer, wo ein Eindringling nach Schmuck oder Wertgegenstände hätte gesucht haben können, waren Spuren der Verwüstung zu erkennen: die Bücher des in die lange, fensterlose Wand eingebauten Bücherregals brachial ausgeräumt worden, als wäre ein Tornado durch den Raum gefegt und dessen Inhalt über den Boden zu verstreuen und mitunter zu zerfetzen.
Hatte jemand in diesen Büchern gezielt nach etwas gesucht?
Oder aber hatte die Kritikerin selbst das ein oder andere ihr lieb gewesene Buch zerfetzt? - Auch das war nicht auszuschließen.
Mirakulös!
Da die Autopsie noch nicht stattgefunden hat und die Spurensicherung keinerlei Hinweise auf Fremdeinwirkung fand, kurzum keinen Kopf eines Spermiums im Genitalbereich oder schwimmend in der Badwanne, keine Wurzel eines Fremdhaares, selbst die Kratzspuren entblößten nicht ein fremdes DNA-Partikelchen, macht diesen „Fall“ zu einem besonderen.
Könnte man doch als Selbstmord deuten. Dann Akten schließen. Wenn nur nicht der Konjunktiv II wäre, wäre alles leichter.
Dann zur Mordabteilung. Dort gibt es drei Kommissariate.
Beim ersten Kommissariat sind sie mit dieser Obskurität von einem Mord, nicht Eifersucht, nicht Habgier, nicht Hass – was aber dann, verdammt! - nicht weitergekommen – ohne eindeutige Vorgaben aus der medizinisch-technischen Abteilung.
Das Motiv?
Bislang haben die fleißige Beamten der Kripo noch nicht das nötige psychologische Gespür dafür aufgebracht.
Komplizierte Fälle werden dann dem besten Kommissar in diesem Sektor zugeschanzt, nämlich dem Kommissar Strobl. Aber selbst für ihn, der mit allen Wasser gewaschen ist, bildet solch ein rätselhafter Todesfall ein Unikum.
Er selbst hat nämlich weniger Ahnung von Psychologie als von sonst was, wie wir schon wissen. Aber darin lag auch wieder eine ungeahnte Stärke, wenn man das so sagen kann.
Eine eindeutige Stärke hat er, die alles andere, selbst letzteres, in den Schatten stellt.
So macht er es, wie er es immer macht, indem er sich sagt: „Warten wir mal ab!“, in seiner in dieser Hinsicht behäbigen Art. „...was noch alles die Autopsie zu Tage fördert. Dann sehen wir weiter!“ und genehmigt sich einen Schluck, ein großen Schluck – aus der Mineralwasserflasche.
Der Tod der Kritikerin - Mirakulös 3. Teil
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