Der Kracher fällt um
Der Kracher kommt endlich. Er lässt die Schultern hängen und hat den Blick auf den Boden geheftet.
Noch erstaunlicher jedoch ist sein Äußeres. Eine Rasierklinge musste sich unterdessen selbstständig gemacht haben, glänzt sein Gesicht doch wie ein frisch eingewichster Kinderpopo. Zusätzlich kaut er einen Kaugummi, allerdings verdeckt und quasi heimlich, will heißen, immer nur dann, wenn er nicht an der Reihe ist beim kommenden Gespräch, sein dubioses Schäfchen beizutragen.
´Ist der Kracher mittlerweile nervös geworden?`, frage ich mich. Außerdem, wieso trägt der denn jetzt diese dunkle Krawatte auf blütendweißem Hemd? Kaugummikauen, Hoch-Glanz-Politur, Krawatte – sind das Zeichen der Nervosität? Ist er sich nicht mehr ganz so sicher und beginnt endlich an sich selbst zu zweifeln?
Diese klischeehafte Selbststilisierung bei Männern des Wirtschaftszweiges empfinde ich schlichtweg als frappierend. Von meinem Blickwinkel aus gesehen, entblößen sie nämlich Schwächen, Eitelkeiten und überbordeten Hang zu Mach-aus-Dir-einen-Typen gleich den beim anderen Geschlecht gewohnten Äußerem der Selbst kaschieren wollenden, funkelnd gold- und silberverbrämten Klunkerstückchen am Ohr, an den Fingern oder sonstiger Stelle ihrer narzisstisch-verliebten Körper.
„Sollen Sie!“, denke ich mir. Ja, auch die Männer. Warum auch nicht die?
„Die Placker-, Arschkriecher- und Radfahrerei soll sich doch für alle „lohnen“, und das ist ihr Lohn dafür!
Räuspernd lege ich die Faust vor meinem Mund.
Der erfolgte Blick des Krachers mag funkelnde Irritation wiederspiegeln, kann aber auch einfach meine Interpretation wiedergeben.
Jedenfalls, abgesehen von seinem Schicki-Micki-Äußerem, wer hätte also gedacht, dass sich der Kracher mit einem mal so lammfromm gibt und so stockend und zaghaft Worte über seine Lippen presst, ein derartiges bedachtes Verhalten zeigend, das einzig dadurch auf den Punkt gebracht ist: sage nur nicht das Falsche und rede nur nicht entgegen des Chefs, Michaels Worten nämlich?
„Viel-leicht ir-re ich mich auch.“
Jetzt ist’s heraus. Das ist der Endpunkt. Das ist der äußerste Zipfel des Zugeständnisse, eines Kompromisses, der an Selbstverleugnung hinreicht.
Natürlich, worüber man sich nicht täuschen solle, dass der Untergebene sich so zurückhaltend gibt, kann nur daran liegen, dass ihm sein Chef einen Wink gegeben haben muss, begreiflich gemacht, dass hier Ursache und Wirkung in unziemlichen Verhältnis zueinander stehe, der Vorfall eine Bagatelle darstelle und möglichst schnell aus der Welt geschafft gehöre. „Zum Renommee unseres Hauses!“, dies ist wohl Michals Credo.
Ich atme befreit durch und aus.
„Sie wollen wirklich sagen, dass es durchaus möglich ist, dass Sie sich getäuscht haben und...“
Verzwickt, denn wir haben es leider jetzt mit einem Berufschnüffler zu tun. Hartnäckig glaubt er dem Gesetz Genüge leisten zu müssen und einen Bücherdieb, der Gerechtigkeit zuliebe, zu entlarven. Das Spiel ist noch lange nicht aus.
„und der „Mensch“ hier nur in den Bücherreihen ziellos herumgesucht hat?“
Zögerliches Ja!
Wir anderen drei schauen uns an und verdrehen die Augen nach oben. Plötzlich sind wir eine verschworene Gemeinschaft.
„Aber Sie haben doch vorhin selbst gesagt, dass Sie mit diesem Kunden eine Vereinbarung getroffen haben. Nämlich, dass er im Gegenzug zu einer Information, die er sich aus einem Buch holen darf, eins kaufen muss!“
So dreht sich das Karussell weiter und weiter...
Der Kracher kann das jetzt schlecht leugnen.
„Da stimmt schon...“
Pause.
„Nichtsdestotrotz könnte es durchaus sein, dass er dieses Buch dann nicht entwendet hat.“
Atemlos setzt der Jäger dem scheu gewordenem Wild nach.
„Aber Sie haben ihn doch mit den Augen verfolgt, also halt beobachtet, nehme ich an.“
Jetzt schreitet wieder einmal Michael ein: „Das kann er durchaus gemacht haben... Wobei er sich ja getäuscht haben mag... Irrtümlicherweise es so wahrgenommen hat, als zöge der Kunde tatsächlich ein Buch heraus und nehme tatsächlich eines unter die Arme, um damit zur Kasse zu gehen. Das liegt durchaus im Bereich des Möglichen.“
Michael will dabei den Eindruck des Vermittlers erwecken, zwischen den Zeilen gesprochen sagt er: nicht wahr, dass will mein Untergebener gerade kundtun.
Der Kracher, das ist unübersehbar, während er mich hasserfüllt anstiert, beißt sich auf die Zähne, als er jetzt ein Brummeln der Zustimmung herausstößt. In seiner Haut mochte ich jetzt nicht stecken. Denn Kracher fühlt sich nun bestimmt wie Napoleon bei Waterloo.
Denn wisse, Buchhändler gibt niemals vor, von einer Sachlage auf dieser Welt keine Ahnung zu haben, ich spreche von Keine Ahnung, nicht von Nicht-Wissen, denn das wäre denn doch ein Armutszeugnis par excellence. Solch ein Etikett würde sich wohl keiner dieses Berufszweiges an sein Revers heften lassen wollen.
Sich zudem dann getäuscht zu haben, ist schlechterdings unmöglich.
Übrigens, jetzt erwähne ich noch kurz die dritte, ein Buchhändler kennzeichnende Eigenschaft: Trendsetting.
Welches deutsche Wort entspräche dem? Mit Recht, keines!
Das-was-man-nicht-tut, darin liegt etwas Bedrohliches, Tyrannisches, ein Muß: das-was-man-tun-muß-um-modern-zu-sein. Kann sich dem einer entziehen?
Also Buchhändler sind Trendsetter, sagen dir, was in naher Zukunft „in“ sein wird, pardon, „beliebt“ sein wird, und das, was „out“ sein wird, halt „altmodisch“ und das wird keiner sein wollen. Aus des Buchhändlers Stimme dringt dir die des Obermufti der Gesellschaft entgegen, dem du dich nicht verweigern kannst, denn willst du nicht jung und jugendlich gelten?
Der Kracher - eine Fortsetzungserzählung Teil VIII
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