Der Kracher - eine Fortsetzungserzählung Teil IV

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Pentzw
Pegasos
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Der Kracher - eine Fortsetzungserzählung Teil IV

Beitragvon Pentzw » 24.07.2011, 22:59

Jennifers Auftritt

Plötzlich kommt mir ein Geistesblitz. Wo, wo ist mein Handy, verflixt! Hoffentlich erreiche ich sie jetzt. Ich wähle eine Kurzwahlnummer: ‚Jenny, geh ran! Mann! (Sollte eher Frau heißen!) Wo bist du nur?´ Schließe mich sicherheitshalber noch einmal hinter eine Klotür ein. Während die Tonwahlnummer ihre schrecklich verzerrte Melodie in meinem sensiblen Ohr piepst, sägt und krächzt, dass ich aufschreien und aufstampfen möchte, beide Mal wie ein Elefant!, blockieren mich jedoch massive Zweifel. Jennifer, dieses permanent aufgeschreckte Huhn, ob das wohl gut gehen kann? Was aber bleibt mir übrig, nur sie steht mir jetzt zur Verfügung.
„Jennifer, bei der Arbeit! Wo sonst?“
Mir ist jedoch nicht zum Spaßen zumute.
„Babe, wo genau bist du jetzt?“
„Ähm, in der Arbeit, wo immer um diese Zeit?“ Typisch, diese verzögerte Reaktion, keine große Leuchte ist sie. (So denkt er. ) Sie reagiert übertölpelt, anstatt sofort die Dringlichkeit der prekären Lage zu erfassen, in der ich stecke.
„Mensch du fragst vielleicht?“ Immerhin scheint sich doch zu ahnen, dass mein Anruf nicht von ungefähr kommen kann: „Wo brennt’s denn?“
„Kennst du die Buchhandlung Fiola?“
„Klar, die, die nur ein paar Ecken um meinen Arbeitsplatz ist.“
„Genau!“
Und es braucht, es braucht lange, um darzulegen, bis sie’s endlich geschnallt hat, wie tief in der Tinte ich stecke. Endlich fällt der Groschen und sie weiß, wohin die Reise geht, während draußen an der Klotür der unliebsame Kameltreiber steht und wartet und wartet.
Denkste, jetzt klopft die Kanaille an meine Tür.
„Wird man denn noch in aller Ruhe kacken dürfen, wenn man muss. Ist das kein Menschenrecht?“
„Blödmann!“, antwortet er, akzeptiert aber.
„Das klingt ja ziemlich bedrohlich!“, flüstert mir Jennifer ins Ohr. „Du sagst es!“, antworte ich karg. „Okay!“, murmelt sie hastig. „Ich bin im Bilde!“ „Na endlich!“, stöhne ich ihr entgegen und beschreibe den zwielichtigen Kracher.
Sie versucht mich sogar noch – ist sie nicht goldig! - zum Schluss zu beruhigen: „Ich weiß schon eine gute Idee, wie ich mich an ihn heranmachen kann und ihn an der Nase herumführe. Darauf kannst du Gift nehmen!“ Mir kommt ein Bild von Jennifer hoch, was sie schon immer sein wollte: die verkannte brilliante Schauspielerin. Na denn, beweise es, Mädel, beweis es! Es muss ein großartiger und überwältigender Opernauftritt stattfinden, Mädchen, der solch einen Typen wie den Kracher so verwirrt und aus den Socken hebt, dass ich mich unterdessen klammheimlich von dannen schleichen kann.
Ich zwinge mich, lieber nicht daran zu denken.
Dringlicher erscheint mir, ein gutes Argument zu finden, warum ich solange hier auf der Kloschüssel Zeit schinde. Ich bin ich mir also jeden Moment durchaus bewusst, dass der Kracher im nächsten Moment wieder an die windige Klotür klopfen kann und losbrüllen wird: „Jetzt ist aber genug!“ Fällt mir nicht ein plausibler Grund ein, welchen diesen wildgewordenen und tollwütigen Hund dämpfen und beruhigen kann, wird’s schwer, vertrackt und ungemütlich, die benötigte Zeit totzuschlagen, bis Jennifers Veitstanz beginnt...
Furchtbar übel könnte es mir sein, zum Bleistift, äh, Beispiel. Mann, ich verspreche mich schon, Mist.
„Ich habe mich gerade übergeben müssen, so schlecht ist mir. Versetzen sie sich lieber nicht in meine Lage, so kotzschlecht wie mir wird ihnen dann auch! Haben Sie also noch einen Moment Geduld!“ – Nicht sehr überzeugend. Zudem, der bittende Ton gefällt mir ganz und gar nicht. Das muss anders rüberkommen. Umformulieren, nein, dazu habe ich keine Zeit. Die ganze Richtung wirkt eh nicht überzeugend, dieses Meer von Kotzen, äh, diese Mär vom Kotzen undsoweiter.
Nun klopft’s und poltert’s gegen die dünnwandige Tür: „Jetzt wird’s aber höchste Eisenbahn! Finden Sie nicht auch?“ Die Tür ist bestimmt aus Pappkarton, anders kann das nicht sein. Noch aber hat sie nicht einen Sprung wie ein Blitzsymbol, noch nicht.
Übrigens, wird man mir glauben, aber hier, hier - wahrscheinlich kriege ich wirklich die Hosen voll vor Furcht und Angst und dem Ausblick, was auf dem Spiel steht - entfährt mir ein Furz. (Ich weiß, sollte ich hier nicht schreiben, verscheißere mir meinen guten Ruf!)
Überdies stoße ich wie unter furchtbarer Pressalie stehend hervor: „Mann, hören Sie es nicht? Ich habe voll den Dünnschiss!“
Ein bisschen ordinär zu sein, kann nicht schaden, das erzeugt den Eindruck, ich sei ein Asozialer. Sind doch Bücherklauer nicht sowieso meist Asoziale irgendwie? Die Überraschung danach, falls Jennifers Auftritt durchfällt und scheitert, wovon ich nahezu überzeugt bin, würde um so eindringlicher ausfallen in meinem Fall. Darauf freue ich mich schon.
Erbarmen, wirklich Erbarmen, es hat ihn vorerst überzeugt. Wahrscheinlich angewidert ist er aus dem kleinen Kloraum geflohen, die Nase sich zugehalten. Die Vorstellung erhebt mich. Ich höre noch die Stimme von weitem: „Aber machen Sie, Mann!“ Ein Grinsen lässt sich auf meinen Lippen nicht mehr leugnen.
Erleichtert streiche ich mir den Schweiß aus der Stirn. Woher kommt der eigentlich, stutze ich. Wie auch immer, egal! (Er kratzt sich erneut über die Stirn, dessen er sich aber nicht bewusst ist. Offenbar scheint er mächtig nachzudenken, da er sich nicht dieser Geste klar wird.)
Nach einiger Zeit öffne ich leise die Tür und spitze durch den Schlitz. Sofort fahre ich erschrocken zurück. Unmittelbar vor mir steht Jennifer bei diesem Kracher, diskutierend. Ich schiele erneut hin: etwas übertrieben und übereifrig wirkt ihr Bemühen, so wie sie mit den Händen weit ausgreift und mit den Füßen am Boden scharrt. Na Hauptsache, es hilft!
Aber wie sie nur gekleidet ist? Schwarz allüberall, Grufti, Dracula oder Nonne, das denkbar schlechteste Outfit. Soll wohl zur Abschreckung dienen? Ihren Gegner beeindrucken? Huhu, bin die schwarze Frau, die böse Hexe, der Alp deines Traumas, fährt dir denn nicht ein Schrecken in die Glieder beim meinem Anblick? Oder wie oder was?
Wie ein Affe mit seinen Händen ergreife ich meinen Kopf und schüttele ihn verzagt. Mir schwant, das ist in die Hose gegangen.
Immerhin, einen bühnenreifen Auftritt legt sie aufs Parkett, muss man ihr schon zugute halten: ringt die Hände in der Luft, will heißen: ich bin verzweifelt; schaut wie ein Iltis nach links und nach rechts, undefinierbar die Worte winselnd: ich finde ein Buch nicht; und stammelt die Bitte: könne er nicht einmal mitgehen, es befinde sich in der Abteilung Historie, das ist ganz weit hinten in dem großen Verkaufsareal, auf dem gleichen Stockwerk hier.
Das hat sie hervorgestoßen wie ein Maschinengewehr seine Munition.
Aber darüber hinaus dreht sie sich gar noch um sich selbst. Ihr raben-schwarzer Rock, in dicken Falten strukturiert, bläht sich beim Drehen auf und hat etwas Bühnenreifes an sich. Aber doch wirkt es gegenteilig: sie ist ja hier keine Primaballerina, die ihren Auftritt hat, sondern eine besorgte, angstgelähmte und verzweifelte Kundin.
Der Kracher ist über diesen Überraschungsangriff wortlos paff.
Spätestens hier aber, mutmaße ich, ist er misstrauisch geworden, denkt bestimmt hin und her: da stimmt doch irgendetwas nicht, da kann etwas nicht stimmen.
Tatsächlich herrscht eine Stille wie bei einer Feuerpause.
Dann jedoch, Jennifer hat wieder Luft holen können, tief und röchelnd aus verkohlter Raucherlunge: „Dort jedoch ist aber keiner!“, prustet sie also erneut noch einmal und überflüssigerweise aus.
Noch immer Kracher unglaublich stumm.
Babe kriegt wohl damit das Gefühl, somit freie Bahn zu haben und radebrecht weiter, johlend, japsen, krächzend und dergleichen mit rauer Raucherstimme: Sie fühle sich so allein und ach so hilflos. Sie wirft dazu ihre Arme noch einmal melodramatisch verzweifelt in die Weite des Verkaufsarsenals.
Aber der Kajastift, die schwarze Lidlinie, das Rouge, die roten Henna-Haare und nicht zuletzt die durchgestochenen Ohrringe wiederlegen deinen Auftritt, Jennifer! Mir ist zum Heulen zumute, echt.
Was Wunder nun, ich fühle mich leider im Recht: er versucht sie abzuwimmeln und sagt: „Dort ist sicher ein Kollegin!“
„Aber sie sehen doch, dass dort keine ist!“, ruft sie erneut klagend aus, indem sie mit hilfloser Geste in die diesbezügliche Richtung fuchtelt und wieder die Arme erschlafft zurückfallen lässt. Nicht schlecht im Grunde, abwechselnd einmal leicht drängeln, anstupsen und dezent drohen, dann wieder den herzserweichend sanften Ton anstimmen. Aber irgendwie sind das doch Handbewegungen wie bei einer Marionette: zu schlaff, zu theatralisch und zu betont.
Die Rolle ist zwar klar: einsames, hilfloses Fräulein wendet sich flehentlich um Hilfe suchend an den starken, klugen Kerl. Aber ob das beim Kracher verfängt? Ist er ein solcher Narziß? Oder hätte eine härtere Rolle nicht vielleicht besser angeschlagen?
Der Fuzzy hebt sein Handy ans Ohr. „Warten Sie, ich rufe meine Kollegin!“
Aber geistesgegenwärtig wechselt Jennifer jetzt geschwind die Rolle, argumentierend, von wegen, keine Zeit und droht, sie werde, wenn ein solch schlechter Service hier herrsche, das nächste Mal die Konkurrenz kontaktieren und und. Also, sie redet und redet, mehr oder minder klares oder wirres Zeug, wohingegen der Kracher längst nicht mehr von ihren Worten erreichbar ist.
Na, Jennifer, könntest du dich nur selbst sehen, aus dem Blickwinkel eines Buchhändlers, du Witzfigur eines Vampirs, dann könntest du dir schwer vorstellen, dieser denke, mit dem Verkraulen eines solchen Kunden habe er sich wohl das Geschäft seines Lebens versaut.
Da erscheint auch schon eine Kollegin.
Jetzt ist mir klar: Ich brauche mich nicht aus dem Klo stürzen, über die Rolltreppen zu hetzen, durch den ein oder anderen Pulk von Menschen zu stoßen, um schließlich befreit durch den Ausgang das Weite zu suchen. Die Sache ist gelaufen!
Ich pruste aus, kicke mit dem Fuß gegen die Wandfließen - nichts geht kaputt! - und flüstere Verdammt-und-Zugenäht, um mich schließlich gefasst meinem Schicksal zu stellen. Auf in die Höhle des Löwen!
Ich streiche meinen schief sitzenden Pullover gerade, werfe einen letzten Blick in den Spiegel - Gleichgültigkeit üben - und trete hoch erhobenen Kopfes aus dem Toilettenraum, grinse frech und leiste mir die dicke Lippe. „Wohin soll’s gehen? Chef!“ Er traut sich tatsächlich zu sagen, bedrohlich und unheilverkündend: „Das werden Sie gleich sehen!“
Jetzt schlägt’s Dreizehn. Der Penner-Typ wird frech. Aber binnen weniger Sekunden eine adäquate Reaktion auszuhecken, ist es zu kurzfristig. Ich erblicke noch Jennifer, von hinten ganz aufgeschrecktes Huhn mit ihrer verknuddelten Friseur eines zersausten Punks, nachdem sie, einen kurzen Moment noch in einer Ecke stehend, bedauernd die Schultern gezuckt hat und dann sich mit ihrer üppigen, gediegenen Theaterfuseln zwischen den dicht gedrängten Regalen, Associares und Design-Phantasien eines modernen, von Mode überfrachteten und mit Firlefanz stakenden Bucherverlags-Hauses verliert. Der Kracher sieht sie auch und grinst mich an, um zu verkünden: „Ach, so verhält sich das also!“
Klugscheißer! Merkt auch alles.
„So verhält sich das also!?“, äffe ich ihn nach.
Aber der Kracher verzieht jetzt keine Miene mehr. Er ist bedient.
„Na, dann kommen Sie mal mit!“
Es klingt beinahe so, als ob er mir damit drohen könnte.

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