Düstere Wolken zogen auf am Himmel.
Traurig sah sie noch einmal in seine kalten stahlblauen Augen, die auf ein Ziel in weiter Ferne gerichtet zu sein schienen. Dann, als würde von weit her aus einem schlimmen Traum erwachen, sah er sie mit durchdringendem Blick an. „Sei vorsichtig!“ sagte er zu ihr und drückte ihr einen letzten Kuss auf ihre vor Kälte zitternden Lippen. Jetzt wusste sie es mit überwältigender Gewissheit, sie würden sich lange Zeit nicht sehen…Würden sie sich je wieder sehen? Sie hatte schon Kriege Tod und Mord gesehen aber das schien ihr ein noch schlimmerer Schmerz zu sein. Würde er auch so leiden? Würde sein kaltes Herz an sie denken? Doch als hätte er ihre Gedanken gelesen, sagte er aus ihren tiefen Augen wie ein Ertrinkender nach Luft schnappend… “Wir sehen uns wieder.“ Er drückte sich noch einmal kurz an sich und ohne ein weiteres Wort war er in die Nacht verschwunden.
Dieser Traum suchte sie seit Wochen heim. Sie konnte jede Nacht ihre Uhr danach stellen, als wäre es ein innerer Weckruf, der sie immer wieder an diesen geheimnisvollen Mann erinnern sollte den sie in L. vor kurzem getroffen hatte.
Er half ihr aus einer sehr brenzligen Situation als ihr drei düstere Gesellen, vermutlich Landsknechte im Dienste von … auf dem Nachhauseweg aufgelauert hatten. Sie riefen ihr unflätige Dinge hinterher als sie von einem Botengang für ihre Mutter auf dem Weg nach Hause war. Sie rannte immer schneller und schneller doch die drei waren schon fast hinter ihr und das rettende Zuhause war noch zwei Straßen entfernt. Einer der drei der größte und gleichzeitig der ekelhafteste hatte ihren Zopf gepackt und riss sie forsch nach hinten. Der Schmerz durchzuckte sie von der Kopfhaut bis zu den Knien. Lass dir bloß nicht anmerken, dass du Angst hast, Angst ist ihre Waffe gegen dich, nur keine Schwäche zeigen. Der Große hielt sie gepackt und schnaufte ihr seinen ekelhaften Bieratem ins Gesicht. Schon steckte der Große seine ungewaschene Hand nach ihrer Bluse aus während die anderen direkt hinter ihm warteten und blöde grinsten.
Da erschien er auf einmal aus dem nichts. Er schien direkt aus der Dunkelheit zu treten. Im ersten Moment erschrak sie bei seinem Anblick und vermutete er wäre der Anführer der drei üblen Burschen, doch er wirkte nicht so. Für einen Moment sah er sie durchdringend an und sie spürte dass er ihr nichts tun würde, er würde ihr helfen.
„Lauf weiter so schnell du kannst.“ Waren seine einzigen Worte und das war auch ihre Reaktion. Als sie um die Ecke bog hörte sie ein Knurren und ein Fauchen, das sie erzittern ließ, doch sie blickte nicht zurück. Ein eisiger Schauer durchzuckte sie als sie sich auszumalen versuchte was er wohl mit ihren drei Verfolgern angestellt haben könnte. Doch so schrecklich es klang, vor ihnen hatte sie mehr Angst gehabt als vor ihm. Völlig außer Atem schlich sie sich zu Tür hinein und die Treppe hinauf und sank erschöpft und zitternd auf ihr Bett wo sie alsbald in einen heilsamen und traumlosen Schlaf verfiel. Als der erste Lichtschein, getrieben von der aufsteigenden Dämmerung, ihr Fenster streifte, erwachte sie jäh aus ihrem tiefen Schlaf. Unwillkürlich musste sie an die Vorkommnisse des gestrigen Abends denken.
Sie setzte sich im Bett auf und grübelte warum sie dieser düstere Mann vor den Landsknechten gerettet hatte. Sie war ein Mädchen für die es sich ihrer Meinung nach nicht zu Kämpfen und schon gar nicht zu Sterben lohnte. Doch war es zweifellos so dass ihr Retter nicht der Unterlegene in diesem Kampf gewesen war, allein gegen drei bewaffnete üble Burschen...was tat sie da, machte sich Gedanken über das Wohlergehen eines Fremden, der ihr genauso gut etwas antun hätte können.
Er hatte groß und stark aber auch durch seine blasse marmorne Haut auf eine eigenartige Weise kalt und zerbrechlich gewirkt. Sein dunkles Haar war zerzaust gewesen als wäre er sich ungeschickt durchs Haar gefahren, das hatte ihm einen etwas wilden, verwegenen Anblick verliehen. Doch das auffallendste waren seine Augen, die von einem so hellen stahlblau waren, dass sie fast durch die Nacht geleuchtet hatten. Und dieser Blick, der einem das Blut in einem Moment zum Kochen und im Nächsten zum Gefrieren brachte.
Von diesen Gedanken aufgewühlt zog sie die Decke enger um die Schultern, öffnete das Fenster und kletterte auf den Fenstersims. Da saß sie und blickte von ihrem Zimmerfenster über die Straßen von L. Der Krieg hatte alles verändert, die Zeit schien zu rasen doch anstatt Besserung und Frieden wurden immer noch mehr Grausamkeiten von den Schlachtfeldern berichtet die sich inzwischen nicht mehr in allzu weiter Ferne befanden. Memento mori, das war der Wahlspruch ihrer Zeit, Bedenke dass du sterben musst. Dieser Satz schien über allem zu stehen, der Tod und Verderben schienen Tagesgeschehen zu sein und die Menschen verrohten immer weiter. So gingen Sekunden Minuten Stunden vorbei in denen an der einen Eiche Calvinisten oder Katholiken aufgehängt wurden, unter der anderen ein verhungertes ungetauftes Baby begraben wurde. Religion war für alles gut, so hatte sich das Jesus wohl nicht vorgestellt. Einerseits interpretierten sie seine Lehren in neugefundener Freiheit, andererseits beharrten sie darauf um sie dann nur noch mehr mit Füßen zu treten. Nur um keinen Zentimeter nachgeben zu müssen in einem Krieg der doch ganz andere Hintergründe hatte. Machtgewinn. Für so etwas gab es ihrer Meinung nach keine Religion sondern Politik, aber das war eine viel zu revolutionäre Meinung um sie auch nur zu denken.
Langsam begann es wieder zu dämmern und er sah ungeduldig aus dem Fenster. Wenn die Nacht nur einen Schritt weit weg war, warum dann das Gefühl dass es bis Tagesanbruch noch ewig dauern würde?
Ungeduld, das war ein eigenartiges Gefühl, überhaupt wieder zu fühlen war etwas Eigenartiges. Er hatte so lange in Abgeschiedenheit zugebracht, dass ihn so etwas jedes mal zu Boden reißen würde bis er sich wieder an ein Leben unter Menschen gewöhnt haben würde. Ein Leben, wenn man seinen Zustand nur so nennen könnte, verdammt dazu für immer mit einem Fuß im Grab zu stehen, aber doch unglaublich stark zu sein und alles um so intensiver zu spüren und zu fühlen und doch nie zu altern. Zeit, das war für ihn etwas woran er schon lange keinen Gedanken mehr verschwendet hatte.
Memento mori, bedenke dass du sterblich bist, diese Menschen waren auch zu komisch, diesen Spruch als Wahlspruch ihrer Epoche zu wählen. Wo blieben in dieser Rechnung die Geschöpfe der Nacht. Blutsauger wie er, Dämonen und Gottlose in ihren Augen?
Der Krieg war für viele Vampire ein Deckmantel ihrer ursprünglichen Natur wieder ein stückweit nachzugeben. Menschen zu jagen. Das war genau der Grund warum er wieder da war. Er würde dem Irrsinn ein Ende bereiten wo er nur konnte. Menschen waren zwar ein viel exquisiterer Genuss als die Wölfe in den Wäldern, jedoch hielt er es für falsch und widernatürlich unschuldige zu töten. Das war der Grund warum er sie gerettet hatte, mit Sicherheit. Noch einmal versuchte er sich das einzubläuen- es hat nichts mit Zuneigung zu tun, ich kenne diese Frau nicht einmal. Aber doch sah er ihr Gesicht in Gedanken so deutlich, dass er jeden Regentropfen an ihren Wimpern zählen konnte.
Wieso hatte er diese wildfremde Frau gerettet? Zweifellos, sie war eine Schönheit wie man sie in diesen Tagen selten antraf. Der Krieg hatte die Schönheit zerstört, wie das Damoklesschwert hing die Verdammnis über dieser vermaledeiten Zeit. Doch irgendwie war sie etwas besonderes, die Art wie sie sich bewegte war stolz und doch irgendwie verletzlich. Sie schien keine Angst zu haben als er sie ansprach, sie war höchstens etwas verschreckt von seinem überraschenden Auftritt. Doch er musste sie vergessen es hatte keinen Wert sich mit solchen Unzulänglichkeiten aufzuhalten. Er musste sich besser verbergen. Was wenn sie herausgefunden hätte wie er diese drei schmierigen Gestalten zu Strecke gebracht hatte. Sie hatten nichts anderes verdient, nachts einer wehrlosen Frau nachzusteigen und sie unterwerfen zu wollen, ja das sah ihnen ähnlich diesen Menschen. Es wäre wirklich zu schade gewesen um sie.
vampirroman klassisch
-
patricia_wayland
- Kerberos
- Beiträge: 3
- Registriert: 16.02.2010, 23:16
-
Princess_Clary
- Erinye
- Beiträge: 24
- Registriert: 05.04.2010, 19:00
Re: vampirroman klassisch
hallo,
hast du den text selbst geschrieben (nur rethorische frage)?
echt großes lob
aber sonst ist der text echt schön geschrieben. Und man kann ihn ugt und flüssig lesen! trés bien!!!
hast du den text selbst geschrieben (nur rethorische frage)?
echt großes lob
ich würde hier nur noch mehr auf den Kuss und die gefühle dabei eingehenpatricia_wayland hat geschrieben: „Sei vorsichtig!“ sagte er zu ihr und drückte ihr einen letzten Kuss auf ihre vor Kälte zitternden Lippen
aber sonst ist der text echt schön geschrieben. Und man kann ihn ugt und flüssig lesen! trés bien!!!
Re: vampirroman klassisch
Ich fand den Text auch sehr bewundernswert. Er hat mich irgendwie an die Vampirreihe von Lynn Raven erinnert
Naja, um es mal auf den Punkt zu bringen: Der Text war echt gut und ich hoffe das du weiterschreibst, sonst wäre das echt ein großer Verlust.
Naja, um es mal auf den Punkt zu bringen: Der Text war echt gut und ich hoffe das du weiterschreibst, sonst wäre das echt ein großer Verlust.

-
patricia_wayland
- Kerberos
- Beiträge: 3
- Registriert: 16.02.2010, 23:16
Re: vampirroman klassisch
Ja, hab den text selber geschrieben 
Danke für die positiven reviews...
vielleicht gibts bald noch mehr...

Danke für die positiven reviews...
vielleicht gibts bald noch mehr...
-
patricia_wayland
- Kerberos
- Beiträge: 3
- Registriert: 16.02.2010, 23:16
Re: vampirroman klassisch
Hier noch ein bisschen Sparring...
In diesem Part gehts ein bisschen ruhiger zu als beim letzten Mal. Aber schliesslich ist ja hier unser Held noch "klein"...
***
So ist das Leben! Wie oft hat das irgendjemand schon gesagt ohne dass einen das groß kümmert. Als junger Mensch kümmern einen solche Worte kaum, man hat andere Sorgen. Das Leben, ja wie ist das eigentlich mit dem Leben. Kaum beginnt man damit groß zu werden wird man geistig immer kleiner. Ein schlauer Mensch hat mal gesagt, den Geist eines Kindes doch die Erfahrung eines Greises müsstest du haben um das Leben „an sich“ zu meistern. „An sich“ was ist das eigentlich für ein dämlicher Begriff.
„An sich“ war das Leben nur eine Aneinanderreihung von Eventualitäten für Andrej, oder nicht? Doch im zarten Alter von 12 Jahren musste er immer öfter feststellen dass dem nicht so war. Natürlich hielt das Leben Überraschungen für einen bereit, doch das eigentliche, das was zählte, war die Vorsehung eines jeden, sei er nun ein Mensch oder nicht. Vorsehung, viele Menschen und auch andere Wesen sahen das für ausgemachten Humbug an, doch sie irrten sich. Andrej wusste es besser. Er hatte eine Gabe die sich je stärker man sie ignorierte- ja und zweifelsohne hatte er das des Öfteren versucht- immer stärker wurde. Diese Gabe war gleichzeitig zu einem Fluch für ihn geworden. Wie sie genau wirkte hatte er noch nicht ganz herausgefunden und das in seinen letzten 200 Jahren, das will schon was heißen. Das beweist uns schwachen Menschen mal wieder dass das Leben sowohl Überraschungen als auch Vorsehung in gleichem Maß für uns bereithält. Denn wie das funktionieren sollte mit der Vorsehung konnte sowieso niemand vollständig erkunden. Andrej konnte schon im zarten Alter von 12 Jahren mit seinen Gedanken bestimmte Ereignisse steuern oder heraufbeschwören. So sah er grundsätzlich wenn er an eine Person dachte, diese innerhalb dieses Tages wenn nicht in den nächsten 10 Minuten. Er hasste und liebte diese Eigenart, genauso wie er manche Leute hasste und liebte. Doch darüber machte er sich damals noch keine Gedanken. Er war noch nie ein unbeschwerter Mensch gewesen, doch noch schlimmer wurde das als ihn sein Schicksal als Vampir ereilte, das er ebenso „vorhersah“ wie er alle anderen wichtigen Ereignisse „vorhersah“ die sein Leben verändern sollten.
Da gab es zum Beispiel Anna. Er konnte nichts anderes als ständig an sie denken. Er sah dieses Mädchen jeden Tag, nicht weil sie den gleichen Weg nach Hause hatten (nein sie wohnte in einem völlig anderen Stadtteil), nicht weil sie ihn auch liebte (sie kannte ihn nicht einmal) und auf keinen Fall war es Zufall (nein war es nicht). Wenn er auch nur eine Sekunde daran dachte sie zu treffen, schon stand sie vor ihm und zwar genau in diesem Moment als er diesen Gedanken als völlig unwahrscheinlich bereits verworfen hatte. Das war das tückische und gleichzeitig geheimnisvolle der Gabe von Andrej. Aber eben diese Gabe sollte ihm in seinem Leben viel Unheil bringen, sie war jedoch auch schuld dass er die schönsten Stunden seines Lebens erleben konnte.
So war es auch mit Anna. Eines Tages dachte er wieder an das hübsche Mädchen mit dem langen dunkelbraunen Zopf. Sie war gut erzogen stammte aus gutem Hause, der Vater war ein angesehener Schuster, und vor allem war sie eines, das hübscheste Wesen, dass Andrej in seinem jungen Leben erblicken konnte. Manchmal stellte er sich vor wie es wäre mit ihr zu sprechen, anstatt sie immer nur wortlos in einem Ansturm von heilloser Begeisterung anzustarren. Oder wenn ihr Haarband sich lösen, und ihr seidiges Haar im Wind wehen würde und er galant ihr Haarband fing, es ihr überreichen würde und sie sich unsicher und nervös bei ihm bedanken würde. Dann würde sie ihn jedenfalls bemerkt haben, dachte er voller grimmigem Selbstmitleid über seine fehlende Courage sie aus freien Stücken anzusprechen. Wie Annas Zopf im Wind, so war doch sein Herz ebenso ein Spielball einer weitaus launischeren Kraft.
Das hat doch keinen Sinn, sie wird mich nie bemerken auch wenn sie jedem Tag meines verdammten Lebens an mir vorbei laufen würde. In dem Moment drehte er sich um und da stand sie. Das Haar zum Zopf gebunden und das schönste schelmische Lächeln der Welt auf dem Gesicht, als sie mit einem der Händler um ein Stück Butter feilschte. In dem Moment erfasste der Wind das etwas lose gebundene Haarband und ihr Zopf ergoss sich in ein Meer von seidigen Haarsträhnen, die im Spiel des Windes tanzten. Gebannt von diesem Anblick stand er reglos da und sah einfach nur dieser wahrgewordenen Traumvision zu. Doch ehe er das losgerissene Haarband fangen konnte und sie sich ihm in Dankbarkeit ergeben an die Brust werfen konnte fiel das Band zu Boden in den Schlamm und ein Rüpel von einem Dachdecker trat ohne es auch nur zu bemerken darauf, da er sich, mit Dachlatten beladen durch die Masse manövrierte. Andrej bückte sich um das Band vor schlimmerem zu bewahren und als er nach oben ging um Anna das Band zu geben knallte er mit voller Wucht gegen die Dachlatten die der Dachdecker vor ihm trug. Ein bisschen durch den Wind und von dem Herrn Dachdecker mit rüden Worten bedacht sah er Anna hinterher, die inzwischen mit ihrem Stück Butter und einem neu gebundenen Zopf die Gasse entlang ging. So ein Mist, wenn ich doch die Dinge sehen kann, warum treffen sie dann nicht so ein, oder war es wieder einmal eine dieser „Spinnereien“, wie seine Großmutter das zu nennen pflegte wenn er nur zu allem und jedem bemerkte, „dass wusste ich, dass das so passiert“.
In diesem Part gehts ein bisschen ruhiger zu als beim letzten Mal. Aber schliesslich ist ja hier unser Held noch "klein"...

***
So ist das Leben! Wie oft hat das irgendjemand schon gesagt ohne dass einen das groß kümmert. Als junger Mensch kümmern einen solche Worte kaum, man hat andere Sorgen. Das Leben, ja wie ist das eigentlich mit dem Leben. Kaum beginnt man damit groß zu werden wird man geistig immer kleiner. Ein schlauer Mensch hat mal gesagt, den Geist eines Kindes doch die Erfahrung eines Greises müsstest du haben um das Leben „an sich“ zu meistern. „An sich“ was ist das eigentlich für ein dämlicher Begriff.
„An sich“ war das Leben nur eine Aneinanderreihung von Eventualitäten für Andrej, oder nicht? Doch im zarten Alter von 12 Jahren musste er immer öfter feststellen dass dem nicht so war. Natürlich hielt das Leben Überraschungen für einen bereit, doch das eigentliche, das was zählte, war die Vorsehung eines jeden, sei er nun ein Mensch oder nicht. Vorsehung, viele Menschen und auch andere Wesen sahen das für ausgemachten Humbug an, doch sie irrten sich. Andrej wusste es besser. Er hatte eine Gabe die sich je stärker man sie ignorierte- ja und zweifelsohne hatte er das des Öfteren versucht- immer stärker wurde. Diese Gabe war gleichzeitig zu einem Fluch für ihn geworden. Wie sie genau wirkte hatte er noch nicht ganz herausgefunden und das in seinen letzten 200 Jahren, das will schon was heißen. Das beweist uns schwachen Menschen mal wieder dass das Leben sowohl Überraschungen als auch Vorsehung in gleichem Maß für uns bereithält. Denn wie das funktionieren sollte mit der Vorsehung konnte sowieso niemand vollständig erkunden. Andrej konnte schon im zarten Alter von 12 Jahren mit seinen Gedanken bestimmte Ereignisse steuern oder heraufbeschwören. So sah er grundsätzlich wenn er an eine Person dachte, diese innerhalb dieses Tages wenn nicht in den nächsten 10 Minuten. Er hasste und liebte diese Eigenart, genauso wie er manche Leute hasste und liebte. Doch darüber machte er sich damals noch keine Gedanken. Er war noch nie ein unbeschwerter Mensch gewesen, doch noch schlimmer wurde das als ihn sein Schicksal als Vampir ereilte, das er ebenso „vorhersah“ wie er alle anderen wichtigen Ereignisse „vorhersah“ die sein Leben verändern sollten.
Da gab es zum Beispiel Anna. Er konnte nichts anderes als ständig an sie denken. Er sah dieses Mädchen jeden Tag, nicht weil sie den gleichen Weg nach Hause hatten (nein sie wohnte in einem völlig anderen Stadtteil), nicht weil sie ihn auch liebte (sie kannte ihn nicht einmal) und auf keinen Fall war es Zufall (nein war es nicht). Wenn er auch nur eine Sekunde daran dachte sie zu treffen, schon stand sie vor ihm und zwar genau in diesem Moment als er diesen Gedanken als völlig unwahrscheinlich bereits verworfen hatte. Das war das tückische und gleichzeitig geheimnisvolle der Gabe von Andrej. Aber eben diese Gabe sollte ihm in seinem Leben viel Unheil bringen, sie war jedoch auch schuld dass er die schönsten Stunden seines Lebens erleben konnte.
So war es auch mit Anna. Eines Tages dachte er wieder an das hübsche Mädchen mit dem langen dunkelbraunen Zopf. Sie war gut erzogen stammte aus gutem Hause, der Vater war ein angesehener Schuster, und vor allem war sie eines, das hübscheste Wesen, dass Andrej in seinem jungen Leben erblicken konnte. Manchmal stellte er sich vor wie es wäre mit ihr zu sprechen, anstatt sie immer nur wortlos in einem Ansturm von heilloser Begeisterung anzustarren. Oder wenn ihr Haarband sich lösen, und ihr seidiges Haar im Wind wehen würde und er galant ihr Haarband fing, es ihr überreichen würde und sie sich unsicher und nervös bei ihm bedanken würde. Dann würde sie ihn jedenfalls bemerkt haben, dachte er voller grimmigem Selbstmitleid über seine fehlende Courage sie aus freien Stücken anzusprechen. Wie Annas Zopf im Wind, so war doch sein Herz ebenso ein Spielball einer weitaus launischeren Kraft.
Das hat doch keinen Sinn, sie wird mich nie bemerken auch wenn sie jedem Tag meines verdammten Lebens an mir vorbei laufen würde. In dem Moment drehte er sich um und da stand sie. Das Haar zum Zopf gebunden und das schönste schelmische Lächeln der Welt auf dem Gesicht, als sie mit einem der Händler um ein Stück Butter feilschte. In dem Moment erfasste der Wind das etwas lose gebundene Haarband und ihr Zopf ergoss sich in ein Meer von seidigen Haarsträhnen, die im Spiel des Windes tanzten. Gebannt von diesem Anblick stand er reglos da und sah einfach nur dieser wahrgewordenen Traumvision zu. Doch ehe er das losgerissene Haarband fangen konnte und sie sich ihm in Dankbarkeit ergeben an die Brust werfen konnte fiel das Band zu Boden in den Schlamm und ein Rüpel von einem Dachdecker trat ohne es auch nur zu bemerken darauf, da er sich, mit Dachlatten beladen durch die Masse manövrierte. Andrej bückte sich um das Band vor schlimmerem zu bewahren und als er nach oben ging um Anna das Band zu geben knallte er mit voller Wucht gegen die Dachlatten die der Dachdecker vor ihm trug. Ein bisschen durch den Wind und von dem Herrn Dachdecker mit rüden Worten bedacht sah er Anna hinterher, die inzwischen mit ihrem Stück Butter und einem neu gebundenen Zopf die Gasse entlang ging. So ein Mist, wenn ich doch die Dinge sehen kann, warum treffen sie dann nicht so ein, oder war es wieder einmal eine dieser „Spinnereien“, wie seine Großmutter das zu nennen pflegte wenn er nur zu allem und jedem bemerkte, „dass wusste ich, dass das so passiert“.
Wer ist online?
Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 9 Gäste