Sam Livingstone ging die Straße entlang. Der Hut den er zum Schutz vor der Sonne tief in sein Gesicht gezogen hatte, warf einen dunklen Schatten darüber. Die Mittagshitze brannte auf seinen Schultern und er versuchte so wenig wie möglich von dem trockenen Staub einzuatmen den seine schweren Schritte beim Gehen aufwirbelten. Es war heiß in Texas, heißer als sonst. Die Hitzewelle die das Land nun schon seit einigen Wochen erschütterte machte ihm schwer zu schaffen. Es lag nicht an den Temperaturen, diese war er gewohnt. Er lebte schon in diesem Bundesstaat seit er ein kleiner Junge war. Nein, was an seinen Nerven zerrte war diese Ungewissheit. Nicht zu wissen ob man sicher war oder nicht. Die Hitze lockte Wesen an, Ungeziefer wie er es immer nannte. Kreaturen von deren tatsächlicher Existenz vor ein paar Jahren niemand gewusst hatte und nun tyrannisierten sie die Menschheit.
Sam betrat einen alten, ihm dennoch sehr vertrauten Laden. Als er von außen in den Innenraum des Geschäfts trat änderte sich die Temperatur schlagartig. Seine gerade noch von der Hitze gebeutelter Körper entspannte sich, als er vom wohligen Wind der Klimaanlage umhüllt wurde. Der Laden war bis auf ihn, den etwas betagten Kassierer und einem jungen Pärchen leer. Im Hintergrund dudelte irgendeine nervtötende Melodie, die den Verkauf zwar anregen sollte, bei ihm aber Aggression auslöste. Den Hut immer noch vor den Augen suchte er das Sortiment nach etwas Brauchbarem ab. Er vermied es bei diesen Temperaturen so lange wie möglich, seine Wohnung zu verlassen, doch mittlerweilte breitete sich in seinem Kühlschrank gähnende Leere aus. Abwertend betrachtete er die Verpackung von billigen Käsemaronis, eher er sie in seinen Korb legte. Er konnte nicht kochen und war widerwillig auf dieses ekelhafte Zeug angewiesen.
Den Korb, der mittlerweile mit allen möglichen Fertigprodukten gefüllt war, in der linken und einem Sixpack Bier in der rechten Hand machte er sich auf dem Weg zur Kasse. Dabei ging er an dem jungen Pärchen vorbei, welche ihn merkwürdig musterten. Der Mann flüsterte der Frau etwas ins Ohr ehe ihn diese mit einem sanften Lächeln ansah und nickte. Sam drehte seinen Kopf rapide zur Seite und versuchte die Beiden nicht zu beachten. Irgendetwas an ihnen beunruhigte ihn. Sie waren vor ihm im Laden gewesen, hatten allerdings außer zwei Flaschen Wasser noch nichts in ihrem Einkaufskorb.
„21,40$“, bemerkte der betagte Kassierer, der nun Sams Waren über das elektronische Lesegerät geschoben hatte. Es war Al, der unmotivierteste Arbeiter in ganz Texas, aber dennoch saß er hinter dieser Kasse solange sich Sam daran erinnern konnte. Trotzdem hatte er noch nie ein Gespräch mit ihm angefangen. Sie waren eben Beide von der wenig redseligen Sorte.
Sam nickte und schob Al das Geld hin. Dieser Griff fast wie in Zeitlupe nach den Scheinen und tippte anschließend etwas in die Kasse. Dann fiel Sams Blick auf einen kleinen Ständer neben dem Tresen.
„Und noch eins hiervon“, sagte er, nickte in die Richtung des Ständers und kassierte deshalb einen genervten Blick von Al. Sam packte sich die kleine Schachtel auf die er gedeutet hatte und beäugte sie. „Anti-Bite“, stand in großen geschwungenen Buchstaben darauf. Darunter war ein Vampir gezeichnet, der aussah wie eine schlechte Karikatur von Graf Dracula. Es war nun schon die sechste Packung dieser Pillen die er sich diesen Monat kaufen musste. Die Hitze beschleunigte die Verbrennung des wichtigen Wirkstoffes und noch dazu musste man mehr einnehmen, schließlich lockten solche Temperaturen die Vampire an. Sie waren so viel anders als man sie aus Büchern oder Serien kannte. Sie besaßen kaum einer der typischen Eigenschaften die man ihnen nachsagte. Sie waren unauffälliger, stärker und…gefährlicher. Seit ihre Existenz an die Öffentlichkeit gekommen war, lebte man in ständiger Angst vor ihnen. Man konnte sie durch kein Merkmal von den Menschen unterscheiden und Sam hatte sich angewöhnt keinen mehr zu vertrauen. Es war einfach zu riskant…
Nachdem Al die Anti-Bite Pillen widerwillig abkassiert hatte verließ Sam mit einem gegrummelten ‚bye‘ den Laden. Als er hinaustrat traf ihn die plötzliche Hitze wie eine Wand. Durch die Klimaanlage bestand ein riesiger Temperaturunterschied zwischen dem Laden und der wüstenartigen Natur außerhalt eben diesem. Diese schockartige Änderung der Temperatur erinnerte ihn daran, dass er seine Pille noch nehmen musste und zwar so schnell wie möglich. Es war sowieso schon viel zu gefährlich gewesen zu dem Laden zu gehen ohne den Wirkstoff im Blut zu haben. Er fummelte eine kleine, rettende Tablette aus der Verpackung und wollte sie in den Mund stecken, doch bevor er diese Tat vollenden konnte wurde er unsanft von etwas am Kopf getroffen. Er wurde zur Seite geschleudert und war im ersten Moment unfähig die Augen zu öffnen. Sein Herz raste und er spürte wie ihm eine warme Flüssigkeit die Stirn hinunterlief. Erst hatte er gedacht, er wäre von einem Stein getroffen worden so hart hatte ihn die Wucht des Angreifers getroffen. Als er jedoch endlich im Stande war seine Augen wieder zu öffnen, sah er das wutentbrannte Gesicht eines jungen Mannes vor sich. Irgendetwas war komisch an seiner Mimik. Trotz der Tatsache, dass er eindeutig wütend war zeichnete sich auf seinen Lippen ein hinterhältiges Grinsen ab.
„Du hast also gedacht du könntest dich mit diesen lächerlichen Pillen vor uns schützen“, sagte der Mann und lachte abwertend auf. Das hysterische Kichern einer jungen Frau begleitete ihn. Jetzt, da auch diese in Sams Sichtfeld getreten war, erkannte er, dass es sich um das Pärchen aus dem Laden handelte.
„Das ist nur ein Placebo. Dieser lächerliche Wirkstoff hilft nicht mal ansatzweise gegen die scharfen Fangzähne es Vampires“. Wie ein wildes Raubtier öffnete der Mann seinen Mund und aus dem Zahnfleisch eines Oberkiefers schossen zwei spitze Zähne.
Sam rang nach Luft. Es war als könnte er ein- aber nicht mehr ausatmen. Ein fester Knoten hatte sich einer Brust gebildet und er wollte nur noch weg. Er hatte Angst, höllische Angst und konnte es nicht ertragen in das grauenhafte Gesicht vor seinen Augen zu blicken. Er kniff seine Augen so fest zusammen, dass es schon anfing weh zu tun, aber er wollte einfach nicht sehen was sich vor ihm abspielte.
Wieder. Ein eiskaltes, grausames Lachen.“Diese erbärmlichen Menschen. Casey, ich glaube es ist Zeit fürs Mittagessen“. Das scharfe Kichern der Frau bohrte sich in Sams Gehörgänge wie die Spitzen eines Pfeils. Es war so grausam und messerscharf, dass er das Gefühl hatte es würde ihm in der nächsten Sekunde den Schädel zerreisen. Er riss die Augen auf und das letzte, was er sah war er furchteinflößende Mund des Mannes der gerade zum Angriff ansetzte und ihn wie ein schwarzes Loch hinab in die Dunkelheit schlang.
Sam schreckte auf. Das T-Shirt klatschnass vor schweiß. Seine Atmung war stoßweise. Die Luft schien sich wie von selbst schmerzhaft in seine Lungen zu pressen und von einer unbekannten Kraft wieder nach außen gestoßen zu werden. Er zitterte am ganzen Leib. Es dauerte eine Weile bis er sich wieder ein wenig beruhigt hatte. Dieser Albtraum, er hatte seine gesamten Ängste gebündelt und wie bei einer Atombombe auf einmal auf Sam losgeschossen. Die Erkenntnis, das alles nur ein Traum gewesen war, holte ihn wieder ein bisschen runter. Es war alles nur Fiktion. Es gab keine Vampire und vor allem kein „Anti-Bite“.
Just in dem Moment, als er zu dieser Erkenntnis gekommen war schrak er erneut hoch. Das wohlige Gefühl der Erleichterung verflog, als er auf seinem Nachttisch eine halbleere Packung „Anti-Bite“ fand. Der Albtraum war nicht vorbei, es hatte gerade erst begonnen…
Anti-Bite
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