Hallo sofia,
bevor ich was Inhaltliches zur „Schachnovelle“ sage ein paar Vorbemerkungen:
1) Du bist jetzt schon eine positive Ausnahme deiner „Spezies“. Die Meisten, die hierher kommen und um Hilfe fragen, behaupten nicht mal sich eigene Gedanken gemacht zu haben – geschweige denn sie schreiben sie auf.
2) Es ist ziemlich genau 7 Jahre her, dass ich die „Schachnovelle“ gelesen habe. Ich werde nach den Vorbemerkungen das, was mir dazu einfällt, aufschreiben und dann deine Interpretationsansätze kurz kommentieren in der Hoffnung es hilft dir weiter und verschafft dir vielleicht die ein oder andere neue Perspektive. Ich habe das Buch allerdings nicht in der Schule gelesen, sondern während meiner Zivildienstzeit aus privatem Interesse. Deswegen weiß ich nicht ob meine Gedanken zu dem Buch wirklich „schulkompatibel“ in dem Sinne sind, dass sie dir helfen die gestellte Aufgabe zu erledigen.
3)Bei uns hier im Club läuft das immer so: Wenn jemand Hilfe möchte bezüglich schulischer oder universitärer Aufgaben kriegt er die sofern er selbst mitarbeitet. Wir erledigen allerdings keine Hausaufgaben oder übernehmen Recherchen – aber wir (in dem Fall ich, es sei denn es steigen noch weitere „Schachnovellen“-Anhänger ein
B-) ) diskutieren gerne mit dir.
Ich habe mir das Buch damals aus der Stadtbücherei ausgeliehen, besitze es also nicht mehr. Wenn es dir aber zeitlich in den Rahmen passt besorge ich es mir gerne noch mal und diskutiere mit dir das Buch und deine Arbeit – wenn du willst. Kommt natürlich auch drauf an bis wann du die Präsentation fertig haben musst.
4)
Ich hoffe, du kannst dich noch an den inhalt erinnern

)
Ja, das kann ich. Allerdings kann ich nach 7 Jahren nicht dafür bürgen noch alles 100 % im Kopf zu haben – aber das Wesentliche ist gespeichert
Soweit die Vorbemerkungen, nun aber zur Sache:
Was mich an dieser Novelle damals fasziniert hat war weniger der größere Zusammenhang in Form der Anklage gegen den Nationalsozialismus. Sicher aber hat das Buch da Großartiges und Wertvolles zu bieten.
Faszinierend fand ich zunächst die Grundkonstellation des Buches an sich, die maßgeblich getragen wurde von den beiden Charakteren.
Auf der einen Seite der Schachweltmeister Czentovic, ein dumpfsinniges Kind – und zwar nicht der Sozialisation wegen (etwa weil seine Eltern ihn dominieren würden) sondern von der Veranlagung her. Auch als sein Talent bekannt wird bleibt er maulfaul und träge. Er gewinnt seine Spiele durch kalte, beinahe unmenschliche Logik. Er spielt nicht spektakulär, aber eben fehlerlos. Seine Welt besteht nur aus dem Schachbrett, doch nicht einmal hier ist er in der Lage Leidenschaft zu entwickeln. Der Vergleich mit einem Computer liegt sehr nahe. Dazu kommt, dass er nur gegen Geld spielt, das Spiel selbst also rein aus Mittel zum Zweck benutzt. So gut er auch spielt, letztlich bleibt er eine tumb auf sein Schachbrett fokussierte Figur. Diese Figur vereint als Spieler in sich Solidität (fehlerloses Spiel), Rationalität (jede Schwäche des Gegners wird genutzt, der entsprechende Vorsprung gebunkert) und Risikolosigkeit (kein kreatives Spiel, nicht ein gewagter Zug). An menschlichen Qualitäten jedoch gibt es praktisch nichts Positives zu vermelden: Czentovic ist habgierig, nicht besonders intelligent und seiner Umwelt gegenüber gleichgültig.
Auf der anderen Seite Dr. B., ein hochintelligenter Mann, mit dem sich der Leser auf Grund der Folter, die er durch die Nazis erlitt, sofort identifizieren kann. Wie seine menschlichen Qualitäten beschrieben wurde weiß ich nicht mehr, aber ich weiß noch dass er vom spielerischen Vermögen her die Antipode zu Czentovic darstellte. Er musste ja ohne Brett spielen in dem Hotelzimmer, in dem er gefangen gehalten wurde – deshalb kann er was Czentovic nicht kann: kreativ, gewagt und mit Risiko spielen. Sein Spiel ist geprägt vom Vorrausdenken, vom permanenten Kombinieren, es hat Leidenschaft und Gefühl. Dr. B. ist ein ebenso phantasievoller wie genialer Spieler.
Die Beiden prallen nun aufeinander und durch den Verlauf der Partien (ich glaube die erste gewinnt Dr. B. und bei der zweiten verfällt er dem Wahn, oder?) ergibt sich hier, wenn du so willst, eine „neue Interpretationsmöglichkeit“.
Schach ist nämlich, wie viele Sportarten, ein durchaus moralischer Sport. Jeder kennt den Spruch dass er als Zuschauer seiner Mannschaft verzeihe wenn sie verliere, aber alles gegeben habe. Und jeder weiß wie ungerecht es sich anfühlt wenn die eigene Mannschaft ein Dutzend hochkarätiger Möglichkeiten vergibt, während der Gegner in der letzten Minute zuschlägt.
Eine solche Konstellation ist hier auf eine extreme Spitze getrieben: Betrachtet man die Potenziale der beiden Kontrahenten kann es eigentlich nur einen Sieger geben. Dr. B. beherrscht das Spiel komplett, auf jeden Zug weiß er sogleich mehrere gutklassige Antworten. Aber trotz seines enormen Potenzials setzt sich am Ende die kühle Berechnung des Czentovic durch und aus dieser tiefen Tragik bezieht die Schachnovelle schon – jenseits anderer Interpretationen – ihren großen Reiz. Ich als Leser fühle mich betrogen, denn dort spielt jemand zügellos und unter Einsatz seines ganzen Herzens auf hochklassigem Niveau – doch es reicht nicht zum Sieg. Und noch schlimmer: Trotz dieses immensen Potenzials wird Dr. B. nie wieder spielen können – sein immenses Potenzial wird also immer brach liegen.
Czentovic hingegen kann ich keine moralische Achtung entgegen bringen. Er hat nicht verloren, aber um den Preis das Spiel, den Geist des Spiels, zerstört, ja vergewaltigt zu haben.
Dr. B. bleibt der moralische Sieger.
Und das könnte eine wesentliche Interpretation sein, die aufs Leben bezogen lauten würde: Es kommt nicht auf das Endergebnis deiner Handlungen an. Die moralische Qualität deiner Handlungen liegt vielmehr in dem Geist, in dem du sie begehst.
Kleiner Tipp: Hol dir unbedingt im Diogenes-Verlag das kleine Büchlein „Drei Geschichten“ von – Stevo muss jetzt weglesen, er haßt ihn

- „Patrick Süskind“ (kostet nur 2,50 Euro). Lies die zweite Geschichte, dort geht es um Schach. Sie ist nicht lang, aber sehr gut. Einiges aus der „Schachnovelle“ wirst du wieder erkennen und sie wird dir helfen meine hier gegebene Interpretation noch besser nachfühlen zu können.
So, nun noch meine Kommentare zu deinen 3 Punkten…
zu 1) Kann ich kaum was zu sagen, da ich mich in der Vita des Stefan Zweig nicht besonders auskenne. Weiß nur dass er Brasilien geliebt hat uns Selbstmord begangen hat. Das Einzige was mir hier nicht passt ist das was du zum Erzähler sagst. Mir kam er damals eher blass vor. Ich hatte nicht das Gefühl viel über seinen Charakter zu erfahren, aber gut, ist vielleicht auch zu lange her.
zu 2) Selbstverständlich ist das Buch eine direkte Anklage gegen die Nazis. Schachweltmsiter Czentovic als Nazi passt –aber MCConnor? Hmmm, klar sie sind in einer Gruppe, andererseits ziemlich verschieden. War McConnor nicht sehr ungeduldig, launisch und aufbrausend? Andererseits fördert er den Weltmeister mit seinem Geld…hmmm…bin unendschieden, müsste ich das Buch noch mal lesen.
zu 3) Humanismus versus Faschismus passt sicher, wobei ich hier vor allem in Czentovics Charakter vielfältige Muster der Nazis wieder erkennen würde, aber wie gesagt McConnor habe ich nicht mehr so gut im Kopf.
Dass Dr. B.`s Kapitulation für die Aufgabe Zweigs steht finde ich aber fragwürdig. War Dr.B. nach der Kapitulation nicht wieder wie vorher, ich glaube vernünftig und höflich? Müsste man auch schauen wann Zweig das Buch schrieb und wann er sich das Leben nahm. Aber auch hier bräuchte ich noch mal einen Blick ins Buch.
Sofia, ich hoffe ich habe dir mit meinen verschütteten Erinnerungen ansatzweise helfen können.
Liebe Grüße,
Ham
P.S.: Wie gefällt dir der Club sonst so?
P.S.S.: Danke an die Made fürs Verschieben des Threads B-)
"If it's a hit? - Yeah, that's me! If it's a miss? - Yeah, that's me!" (Robert Palmer)